Ruhig Blut!
Mi-
schung aus Aufregung und Entsetzen empfand. »Und natürlich ist es
immer sehr schwer, die Seife zu finden.«
»Sie wurde von einer wütenden Menge umgebracht.«
»Die Leute können ja so undankbar sein.«
»Und dies… « Das Kerzenlicht glitt weiter über die Wand. »… ist mein
Großvater…«
Eine Glatze. Von dunklen Ringen umgebene, durchdringend blickende
Augen. Zwei Zähne wie Nadeln, zwei Ohren wie Fledermausflügel. Fin-
gernägel, die seit Jahren nicht geschnitten worden waren…
»Aber die Hälfte des Bildes besteht nur aus leerer Leinwand«, stellte
Agnes fest.
»In der Familie erzählt man sich, daß der alte Magyrato hungrig wur-
de«, erklärte Vlad. »Mein Großvater ging immer auf sehr direkte Weise
an die Dinge heran. Siehst du die rotbraunen Flecken hier? Ganz im al-
ten Stil. Und hier… nun, ein entfernter Verwandter. Mehr weiß ich
nicht.«
Das Bild war so dunkel, daß Agnes kaum Einzelheiten erkennen konn-
te. Etwas deutete auf einen Schnabel und eine geduckte Gestalt hin.
Vlad wandte sich rasch ab. »Wir haben einen langen Weg hinter uns«,
sagte er. »Mein Vater spricht in diesem Zusammenhang von Evolution.«
»Die Personen auf den Bildern wirken sehr… mächtig«, kommentierte
Agnes.
»Oh, ja. Sehr mächtig. Und gleichzeitig sehr, sehr dumm. Mein Vater
glaubte, die Dummheit sei irgendwie in den Vampirismus eingebaut, als
sei der Wunsch nach Blut mit einem kolossalen Mangel an Intelligenz
verbunden. Mein Vater ist ein sehr ungewöhnlicher Vampir. Mutter und
er haben uns… anders aufgezogen.«
»Anders«, wiederholte Agnes.
»Vampire sind nicht sehr familienorientiert. Vater hält das für normal.
Menschen ziehen ihre Nachfahren groß, aber wir leben sehr lange, und
deshalb sind unsere Nachkommen Rivalen. Unter solchen Umständen
bleibt für familiäre Gefühle kaum Platz.«
»Verstehe.« In den Tiefen ihrer Tasche schlossen sich Agnes’ Finger
um die Flasche mit dem Weihwasser.
»Vater meint immer, wir müßten uns selbst helfen – das sei der einzige
Ausweg. Wir müßten den Kreis der Dummheit durchbrechen. Als Kin-
der bekamen wir ein wenig Knoblauch in unsere Nahrung, um uns daran
zu gewöhnen. Vater versuchte es auch mit religiösen Symbolen, die oh-
nehin nie besonders gut wirken. Meine Güte, in unserem Kinderzimmer
gab’s die seltsamste Tapete auf der ganzen Welt. Er ließ uns sogar tags-
über draußen spielen. Was uns nicht umbringt, macht uns stärker, sagte
er immer…«
Agnes schwang den Arm. Weihwasser spritzte aus der Flasche und traf
Vlad mitten auf der Brust.
Der Vampir breitete die Arme aus und schrie, als Wasser an ihm he-
rabfloß und in die Schuhe tropfte.
Sie hatte nicht damit gerechnet, daß es so leicht sein würde.
Vlad hob den Kopf und zwinkerte.
» Sieh dir nur die Weste an! Sieh sie dir nur an! Weißt du, was Wasser mit Seide anstellt? Es hinterläßt Flecken, die man nie wieder herausbe-kommt.« Er bemerkte die Verblüffung in Agnes’ Gesicht und seufzte.
»Ich glaube, wir sollten einige Dinge klären.« Vlad sah zur Wand und
entdeckte eine mit Spitzen ausgestattete Streitaxt. Er bot sie Agnes an.
»Schlag mir damit den Kopf ab«, sagte er. »Ich löse sogar meine Kra-
watte, damit kein Blut darauf gerät. Na bitte. Es kann losgehen.«
»Willst du etwa behaupten, daß du auch hiermit aufgewachsen bist?«
stieß Agnes hervor. »In der Art von ›Übungen mit dem Beil, direkt nach
dem Frühstück‹? Hast du dir jeden Tag ein bißchen den Kopf abge-
schnitten, damit es später nicht so weh tut?«
Vlad rol te mit den Augen. » Jeder weiß, daß die Enthauptung eines
Vampirs international zulässig ist. Nanny Ogg hätte sicher längst mit der
Axt ausgeholt. Na los, es stecken viele Muskeln in diesen ziemlich dicken
Armen, da bin ich…«
Agnes holte aus.
Vlad griff von hinten an ihr vorbei und nahm die Axt aus einer Hand,
die keinen nennenswerten Widerstand leistete.
»… sicher«, beendete er den angefangenen Satz. »Wir sind auch sehr
schnell.«
Er prüfte die Klinge mit dem Daumen. »Stumpf. Mein liebes Fräulein
Nitt. Viel eicht bedarf es weitaus mehr Mühe, uns loszuwerden, als es die
Sache wert ist. Der alte Magyrato hätte Lancre bestimmt nicht das Ange-
bot unterbreitet, mit dem wir gekommen sind. O nein, ganz bestimmt
nicht. Ziehen wir plündernd durchs Land? Nein. Überfal en wir die Leu-
te in ihren Schlafzimmern? Wohl kaum. Was bedeutet ein wenig Blut für
das Wohl der
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