Ruht das Licht
das war Grace gewesen, der ich schließlich vertraute. Nicht Cole.
»Ich mein’s ernst. Ich bin ein sehr zielstrebiger Mensch«, beteuerte Cole. »Glücklich – wird man das nicht, indem man seine Ziele erreicht? Oh Mann, das Zeug hier ist echt gut.« Er stellte den Whiskey auf die Arbeitsplatte. »Ich fühl mich so richtig schön warm und duselig. Na, was sagst du? Du hüpfst in die Wanne und ich sehe zu, dass ich ich bleibe. Und Victor soll auch wieder ein Mensch werden. Ich mein ja nur, wo doch das mit der Badewanne so unerheblich ist?«
Ich lächelte säuerlich. Es bestand keinerlei Gefahr, dass ich mich dem Badezimmer auch nur näherte, und das hatte er die ganze Zeit gewusst. »Touché«, gab ich mich geschlagen und erinnerte mich plötzlich an das letzte Mal, als ich diesen Ausdruck gehört hatte: von Isabel, als sie im Buchladen stand und meinen grünen Tee trank. Das schien mir jetzt Jahre her zu sein.
COLE
Ich grinste ihn breit an. Mich durchdrang die angenehme, träge Wärme, die einem nur harter Alkohol verschaffte. »Siehst du, wir sind beide ziemlich kaputte Typen, Ringo«, sagte ich zu ihm. »Mit ’nem Arsch voll Probleme.«
Sam guckte mich bloß an. Eigentlich sah er gar nicht aus wie Ringo, eher wie ein verschlafener, gelbäugiger John Lennon, wenn man es genau nahm, aber »John« war ja nun nicht gerade der eingängigste Spitzname der Welt. Plötzlich überkam mich eine Welle des Mitleids. Der arme Kerl konnte noch nicht mal unten pissen gehen, weil seine Eltern versucht hatten, ihn umzubringen. Schön ist anders.
»Bock auf ’ne kleine Spontantherapie?«, schlug ich vor. »Ich glaub, das ist heute ’ne gute Nacht für so was, Mann.«
»Danke, aber mit meinen Problemen komme ich schon allein klar«, lehnte Sam ab.
»Ach, komm schon.« Ich hielt ihm die Whiskeyflasche hin, aber er schüttelte den Kopf. »Das entspannt«, probierte ich ihn zu überreden. »Wenn du genug von dem Zeug trinkst, paddelst du in dieser Wanne bis nach China.«
Sams Stimme klang schon nicht mehr ganz so freundlich. »Heute nicht.«
»Alter«, sagte ich, »ich versuch hier, mich mit dir anzufreunden. Ich will dir doch nur helfen. Und mir auch.« Ich legte ihm kumpelhaft die Hand auf den Arm. Sam probierte sie abzuschütteln, aber nur halbherzig. Ich zog ihn mit in Richtung Küchentür.
»Cole«, protestierte Sam. »Du bist total blau. Lass mich los.«
»Und ich sag’s dir noch mal: Das Ganze hier wäre wesentlich einfacher, wenn du das auch wärst. Die Whiskeyoption steht noch, überleg’s dir.« Jetzt standen wir im Flur. Wieder versuchte Sam, sich zu befreien.
»Nein danke. Und jetzt lass mich. Cole, was soll das denn?« Er zerrte an meiner Hand. Wir waren nur noch wenige Meter vom Badezimmer entfernt. Sam sträubte sich und ich musste mit beiden Armen ziehen, um ihn vorwärtszubewegen. Er war erstaunlich stark; ich hätte nicht gedacht, dass so ein schmächtiges Kerlchen sich so gut zur Wehr setzen könnte.
»Ich helfe dir und du hilfst mir. Überleg mal, wie viel besser es dir geht, wenn du dich deinen Ängsten erst mal gestellt hast«, drängte ich. Ich war mir zwar nicht sicher, ob das stimmte, aber es klang zumindest gut. Und zugegebenermaßen war ein großer Teil von mir tierisch neugierig darauf, was wohl passieren würde, wenn Sam der übermächtigen Badewanne gegenüberstand.
Ich manövrierte uns in den Türrahmen und drückte mit dem Ellbogen auf den Lichtschalter.
»Cole«, sagte Sam. Seine Stimme klang plötzlich ruhiger.
Es war nur eine Badewanne. Einfach eine leere Wanne, so gewöhnlich, wie es nur ging: rundherum hellbeigefarbene Fliesen und ein weißer, geöffneter Duschvorhang. Neben dem Abfluss eine tote Spinne. Bei ihrem Anblick fing Sam plötzlich an, sich in meinen Armen zu winden, so heftig, dass ich all meine Kraft aufwenden musste, um ihn festzuhalten. Ich fühlte, wie sich seine Muskeln unter meinen Fingern verhärteten, sie gegen meinen Griff rebellierten.
»Bitte«, flüsterte er.
»Es ist nur eine Badewanne«, sagte ich und spannte die Arme um ihn an. Aber das musste ich gar nicht mehr. Er hatte schon aufgehört, sich zu wehren.
SAM
Einen kurzen Augenblick lang sah ich alles so, wie es war, so wie ich es in den ersten sieben Jahren meines Lebens gesehen haben musste: nichts als ein gewöhnliches Badezimmer, zweckmäßig und ein bisschen schäbig. Doch dann fiel mein Blick auf die Badewanne und meine Beine gaben unter mir nach. Ich saß am Esstisch, mein Vater neben mir;
Weitere Kostenlose Bücher