Rum Diary: Roman zum Film (German Edition)
zu weinen.
Ich aß weiter, bis sie sich beruhigte, dann schaute ich wieder hinüber zu ihr. »Weißt du«, sagte ich. »Laß uns lieber nach vorne schauen. Ich gehe einfach davon aus, daß
du etwas Schlechtes erlebst hast, und werde dir keine Fragen mehr stellen, okay?«
Sie nickte, ohne aufzusehen.
»Ich will nur eins wissen«, fügte ich hinzu, »und zwar, was du jetzt machen willst.« Sie sah so aus, als würde sie gleich wieder in Tränen ausbrechen, und ich schob schnell nach: »Nur, damit ich dir helfen kann.«
Sie schluchzte, dann sagte sie: »Was hat Fritz gesagt?«
»Naja«, sagte ich. »Er war nicht gerade glücklich, als ich ihn das letzte Mal gesehen habe. Gut, das war Sonntagabend, und wir waren beide nicht in der besten Verfassung – jetzt geht es ihm vielleicht besser.«
Sie schaute auf. »Was ist passiert – ist er in eine Schlägerei geraten?«
Ich starrte sie an.
»Schau mich nicht so an«, schrie sie. »Ich kann mich nicht mehr erinnern!«
Ich zuckte die Schultern. »Also –«
»Als letztes weiß ich nur noch, wie ich in dieses Haus gegangen bin«, sagte sie und fing wieder zu weinen an. »Von da an kann ich mich an nichts mehr erinnern, bis zum nächsten Morgen!«
Sie ließ sich ins Bett fallen und weinte vor sich hin. Ich ging in die Küche und goß Kaffee in einen Becher. Ich war versucht, sie zu Yeamon rauszufahren und an der Straße hinter seinem Haus abzusetzen. Ich dachte eine Weile darüber nach, aber dann entschied ich, zuerst mit ihm zu reden und herauszufinden, wie er drauf war. Wie ich ihn kannte, würde er ihr vielleicht beide Arme brechen, wenn sie mitten in der Nacht mit dieser übel klingenden Geschichte auftauchen würde. Das bißchen, was sie gesagt hatte, genügte, um jede Hoffnung zu zerstören, daß alles nur ein Mißverständnis gewesen war, und jetzt wollte ich
nichts mehr davon hören. Je eher ich sie loswerden konnte, um so besser. Wenn ich Yeamon am nächsten Tag nicht in der Stadt treffen sollte, würde ich nach der Arbeit hinaus zu seinem Haus fahren.
Schließlich hörte sie auf zu weinen und schlief ein. Ich saß am Fenster, las einige Stunden und schlürfte Rum, bis ich müde wurde. Dann schob ich sie auf die eine Seite des Bettes hinüber und streckte mich sehr vorsichtig auf der anderen aus.
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war Chenault bereits in der Küche. »Jetzt bin ich mal dran«, sagte sie mit einem strahlenden Lächeln. »Bleib einfach sitzen und laß dich bedienen.«
Sie brachte mir ein Glas Orangensaft, dann ein großes Omelette, und wir saßen beide auf dem Bett und frühstückten. Sie wirkte entspannt und redete davon, daß sie das Apartment saubermachen würde, bis ich von der Arbeit zurückkam. Ich hatte ihr sagen wollen, daß ich Yeamon treffen und sie bis zum Anbruch der Nacht vom Hals haben wollte, aber jetzt kam ich mir bei dem Gedanken, es zu sagen, wie ein Oger vor. Was soll’s, dachte ich. Sinnlos, es ihr zu sagen – mach’s einfach.
Sie brachte den Kaffee auf einem kleinen Tablett. »Gleich nach dem hier gehe ich duschen«, sagte sie. »Das macht dir doch nichts aus?«
Ich lachte. »Doch, Chenault, duschen ist hier strengstens verboten.«
Sie lächelte, trank ihren Kaffee, ging ins Bad, und ich hörte, wie sie das Wasser aufdrehte. Ich ging in die Küche, um noch einen Kaffee zu holen. Ich kam mir ein bißchen zu nackt vor, weil ich nur meine Shorts trug, und ich beschloß, mich ganz anzuziehen, bevor sie aus der Dusche
stieg. Zuerst ging ich nach unten, um die Zeitung zu holen. Als ich durch die Wohnungstür zurückkam, hörte ich sie vom Badezimmer rufen: »Paul, kannst du kurz kommen?«
Ich ging hinüber und öffnete die Tür und dachte, sie hätte den Vorhang zugezogen. Hatte sie nicht, und sie begrüßte mich mit einem breiten Lächeln. »Endlich fühle ich mich wieder wie ein Mensch«, rief sie. »Bin ich nicht schön?« Sie trat einen Schritt aus dem Wasserstrahl heraus und stand vor mir und hob ihre Arme wie ein Photomodell, das eine neue und außergewöhnliche Seife präsentierte. Es lag eine so sonderbar verrückte und nymphchenhafte Selbstgefälligkeit in ihrer Haltung, daß ich lachen mußte.
»Komm rein«, sagte sie fröhlich. »Es ist wundervoll!«
Ich hörte auf zu lachen, und es folgte ein eigenartiges Schweigen. Ich hörte irgendwo ganz hinten in meinem Kopf einen Gongschlag und dann eine melodramatische Stimme, die verkündete: »Und hier enden die Abenteuer von Paul Kemp, dem
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