Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition)
dem ich diese Salzladungen in mein knirschendes Körperbergwerk verfrachte, etwas, was mir insofern auch ganz vertraut ist, weil ich Ähnliches aus Belgien, einem weiteren Lieblingsland, gewohnt bin: Mosselen en friet, also Muscheln und Fritten, ich könnte mich daran blind fressen. Dazu Kriek, süßes Bier aus vergorenen Sauerkirschen, gut, Fritten gibt’s hier nicht, dafür Brot, das sich geschmacklich kaum von Zeitungspapier unterscheidet, Brot können sie hier nicht, das dient hier nur als Träger. Ich bestelle gerade die zweite Ladung, 700 Gramm, als der durchreisende Socken- und Kurzwarenhändler hereinschaut. Er kommt regelmäßig, eine Art Gil-Gunderson-Typ, er hat sogar, man glaubt’s nicht, Zwickel in seinem Bauchladen. Ich kaufe ihm wie üblich, wenn ich hier bin, zwei Paar braune Socken ab, chromatisch unverfänglich. Dann merke ich, wie die Salzinfusion zu wirken beginnt: Ich fühle mich leicht, die vier braunen Socken vor mir auf dem Tisch, ich sehe sie liebevoll an, bloß kein Mitleid mit ihnen haben, ich sehe sie als Freunde. Ein eleganter Herr betritt das Wirtshaus, grauer Bart, Glencheck-Anzug im englischen Schnitt, schätzungsweise sechzig, schnell fege ich die Socken vom Tisch, nun schäme ich mich für sie, das hätte nicht kommen dürfen. Der Mann ist in Begleitung eines wunderschönen Mädchens, einer Prinzessin, und einer blassen Frau mit roten Augen und strähnigem Haar im roséfarbenen Hosenanzug, die aussieht, als ob eine Katze auf ihrem Gesicht geschlafen hätte. Die drei quetschen sich an meinen Tisch, sonst ist kein Platz mehr frei, und bestellen alle Schollen. Vor mir mein riesiger Haufen Percebesabfälle, man kommt ins Gespräch. Ich versuche meine Salzkur zu erklären, es gelingt nicht, zumindest kann ich ihnen die etymologische Bedeutung des Zeugs näherbringen, das da vor mir liegt. Der Mann stellt seine Gruppe vor; das Mädchen sei seine Tochter, 17 Jahre, sie sei Sängerin, gehe aber noch zur Schule. Ob ich Fado möge? Ich sage rundheraus, dass ich Fado sterbenslangweilig finde (ohne allerdings so weit zu gehen und das Gejaule wie Diktator Salazar als «kulturlosen Dirnengesang» zu bezeichnen, lieber nicht, im Angesicht dieser knospenden Nymphe). Leider übergeht er beim Vorstellen die falbe Frau im Hosenanzug, ich vermute, es ist seine Freundin, denn er und sie (deutet mit dem Daumen auf die Strähnige) wohnen in Matosinhos, die Tochter aber in Gaia, also auf der anderen Seite des Flusses (wohl bei der Mutter). Er selbst sei Politiker der kommunistischen Partei, also der, wie sie sich hier abkürzt, CDU, ich antworte, dass ich Kommunisten hasse, korrigiere mich aber sofort, ich meinte natürlich den Kommunismus. Meine Brüskheit scheint ihn zu irritieren, hier über dem Haufen Entenmuschelmüll und Schollengerippe hätte er sich wohl mehr Toleranz erwartet. Nicht mit mir, Freundchen. Ich scheitere allerdings an der Aufgabe, ihm den resignativen Satz Eugen Levinés, «Kommunisten sind Tote auf Urlaub», nahezubringen, die Auslaufmodelle, Wiedergänger, Nachzehrer, Betonköpfe, Ohrenbläser, Borstenbeine. «Whatever happened to Leon Trotsky? He got an ice pick. That made his ears burn», der neue Mensch , wo sei der denn? Und in der DDR gab’s weder Nashi-Birnen noch Smoothies mit Hubba-Bubba-Geschmack. Er versucht sich zu entschuldigen, oder was auch immer, es geht alles sehr mühsam, weil er kaum Englisch kann, ich ja auch nicht. Alles muss das Prinzesschen übersetzen, der Hosenanzug schweigt, der Mann meint, die Kommunisten von heute seien anders, man hätte aus der Geschichte natürlich gelernt, heute könne man sie eher mit den Grünen vergleichen. Ich schaue skeptisch wie ein Fennek, ich glaube, er hält mich für einen Nazi. Er wechselt das Thema und spricht stolz von seiner Tochter, eine große musikalische Hoffnung. Sie schreibt mir etwas auf: «Ines Amorim Idolos (in Google)». Zuerst denke ich, sie heißt Idolos, aber später stellt sich heraus, dass sie dank Google tatsächlich existiert und Idolos die portugiesische Version von DSDS ist. Da war sie Kandidatin und sang meines Erachtens grauenvoll, eine Stimme, mit der man eine Toilette desinfizieren kann, ich aß also mit einem echten Idol, etwas, was die Kommunisten nicht haben, nur Massenmörder und homophobe Schießbudenfiguren (Che Guevara). Draußen auf der Gasse mache ich trotz des ideologisch nicht so harmonisch verlaufenen Essens die verblödete Kommunistenfaust. Das Mädchen will mich küssen, also diese
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