Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition)
nach meinem Gusto.
Ich ging zu jener Zeit in Wien häufig und gerne in eine Lesbenbar, tanzte dort auch immer wild wie Jonathan Richman («I Was Dancing in a Lesbian Bar / In the Industrial Zone / I Was Dancing With My Friends / And Dancing Alone»), Lesben mochte ich ganz gerne, weil ich hier mein ganzes Flirtbesteck zu Hause lassen konnte. Was mich natürlich nicht davon abhielt, es trotzdem auszupacken und mich zum Honk zu machen.
Einmal sah ich dort zwei junge Mädchen finnisch in ihren Aschenbecher schweigen. Ich sprach sie an und merkte schnell, dass sie keine Lesben waren. Sie hießen Heidi und Lisi, gingen noch zur Schule und waren hier, um das Konzept Lesbe zu lernen, bildete ich mir kurz ein. Heidi sah aus wie John Travolta, also Unterkiefer und Kinn, Lisi hatte einen sogenannten Fingerquengel, eine Art Drahtspange am kleinen Finger. Ich redete naturgemäß die ganze Zeit über das, was in mir brizzelt wie ein Tauchsieder in einem Fass voller Zitteraale, das Filmfestival der Mitternachtssonne. Ob sie nicht Lust hätten mitzukommen? Ich baute ihnen aus meiner vagen Finnlandvision ein Xanadu der etwas anderen Art. Zu meinem Laberflash kam noch etwas unangenehm Missionarisches. Aber ich rannte offene Türen ein, denn es stellte sich rasch heraus, dass auch Heidi und Lisi bestrickt waren von der zärtlichen Depression Kati Outinens und Matti «Peltsi» Pellonpääs in «Schatten im Paradies». Ich würde alles organisieren und die Reiseführung übernehmen, sie müssten nur das Einverständnis der Eltern besorgen, sich von ihnen Geld borgen, und weil das Festival zwei Wochen vor Ferienbeginn war, brauchten sie noch zusätzlich eine Freistellung von der Schule, was sich noch als geringste Hürde herausstellen sollte, denn beide waren brave Schülerinnen von siebzehn Jahren, also kurz vor dem Ende allen Übels. Zum Schluss meiner unverdrossenen Kaltakquise, nach ungefähr 20 Gimlets (Rechnung übernahm generös ich, wie der artige Nennonkel, als der ich mich nun fühlte) tanzten wir uns glücklich, raumgreifend und headbangend als letzte Gäste zum schnittigen «Speedy’s Coming» von den Scorpions aus der Bar in den neuen Morgen, dadurch war die Reise gewissermaßen besiegelt, während draußen inzwischen ein Meter alle urbanen Geräusche und eventuellen Zweifel erstickender Schnee gefallen war, denn es war noch Winter. Wir hatten also noch ein bisschen Zeit, um uns an unser Expeditionsprojekt zu gewöhnen. Auf dem Heimweg hatte ich noch das Lied im Ohr, ich fragte mich, warum sie in dem Lesbenladen ausgerechnet Scorpions spielten. Und was Klaus Meine meint, wenn er über Alice-Cooper- und Ringo-Starr-Poster an der Wand singt und dann: «Speedy’s Coming. You live in his heart.» Wer ist dieser Speedy? Gonzales, die Maus? Und was mache ich in ihrem Herzen?
Zur gleichen Zeit unterhielt ich eine rege Brieffreundschaft mit Max Goldt, der ebenfalls glühender Kaurismäkifan war. Auch ihn fragte ich, ob er mitkommen wolle, und natürlich war er dabei. Er würde seinen Kumpel Wiglaf Droste mitnehmen, käme aber von Berlin geflogen, nach Oulo, dann weiter nach Sodankylä, während ich für mich und meine Mädchen den damals billigsten Flug von Budapest nach Tallinn buchte, dann sollte es mit der Fähre nach Helsinki weitergehen, im Nachtzug rauf nach Rovaniemi, und danach noch mal vier Stunden mit dem Bus.
Eines Morgens im Juni trafen wir uns tatsächlich am Wiener Südbahnhof, um von dort aus zunächst einen Zug nach Budapest zu nehmen, dem ersten von fünf Reiseabschnitten. Die Mädchen hatten ihre Eltern und Schulen überredet, mit einem sinistren Schrat wie mir ins Ungewisse fahren zu dürfen, Lisi hatte immer noch den Fingerquengel und Heidi das Travoltakinn, mein Gepäck war wie üblich eine Aktentasche mit losem Henkel, und da begann die Lachfolter meiner Reisegruppe, deren Geisel ich von nun an war. Meine Autorität ging in Sekunden flöten, die Mädchen degradierten mich zum Packesel, ich musste ihr Gepäck tragen und ihre Witze ertragen. Das Lesbenthema war auch vom Tisch, denn sie flirteten um die Wette jeden dahergelaufenen Ungarn an. Die Sprache sei sexy, wie mir Heidi erklärte. Wie bitte, dieses bucklige Jaulen? Na, das kann ja was werden, wenn sie erst Finnisch hören, das so klingt, als ob Kinder mit dem Mund voller Brei ein Gedicht von Kurt Schwitters aufsagen:
Kana, Kala, Kesä, Kuha, Kukka, Kakku, Liha, Lohi, Loma, Lava, Kuu, Puu, Jää, Sää, Huhu (Huhn, Fisch, Sommer, Zander, Blume,
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