Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition)

Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition)

Titel: Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tex Rubinowitz
Vom Netzwerk:
Weile schraubte der Wirt das Gerät auf, viele Gäste kamen ihm zur Hilfe, man sortierte die Platten in die dafür vorgesehenen Lamellen, ein kleines nächtliches Happening, er schraubte das Sichtfenster wieder zu, und das erste Lied, das nun erklang, war, und das wunderte nun wirklich niemanden mehr, «Wind of Change».
    So verliefen unsere Tage. Kino, Sonne um Mitternacht, wir hatten natürlich unsere enorm langen Schatten gemessen, fünfzehn Meter, bevor wieder der Nieselregen einsetzte, einmal hat es sogar geblitzt und gedonnert. Diese unwirklichen Nächte, draußen herumstehen, wenn die Lokale zumachten, niemand wollte schlafen, alle drängten sich dicht aneinander wie nasse Schafe, während die Lakritzschnapsflasche kreiste, dunkel wurde es nie, immer nur noch heller. Einmal war ich mit Wiglaf im eiskalten Fluss Kitinen schwimmen, das war gefährlich, Baumstämme trieben vorbei, aber wir waren nackt, jung und betrunken und zudem beide ausgebildete Lebensretter. Max stand am Ufer und machte Fotos von Flechten, auf der anderen Flussseite der nächtliche Regenbogen, Wiglaf schrie vor Glück: «Und Jimmy schwamm zum Regenbogen.»
    Trotzdem reichte es mir. Ich wollte nicht mehr in der Turnhalle schlafen zwischen dampfenden Spaniern, ich hatte Toth gesehen, sogar in 3-D, ich mochte die depressive Trinkroutine nicht mehr, wir hatten gerade «Das Mädchen aus der Streichholzfabrik» gesehen, in dem Aarne zu Iris sagt: «Wenn du denkst, das zwischen uns wäre was Bleibendes, dann täuschst du dich. Es gibt nichts, was mich weniger berühren könnte als deine Zuneigung. Es wäre am besten, du verschwindest jetzt!» Das ist die längste Dialogstelle im Film und war ein Hinweis, dass man ja jetzt eigentlich auch aus Sodankylä verschwinden könnte, Iris vergiftet Aarne mit Rattengift, und ich schlug Max vor, wir könnten ja alleine zurück nach Helsinki fahren, dort ein paar Tage verbringen, die anderen würden später sowieso nachkommen, um dann jeweils für sich die Heimreise nach Berlin und Wien anzutreten. Er fand das vernünftig, und so verabredeten wir uns um sieben an der Bushaltestelle, um rechtzeitig den Tagzug von Rovaniemi nach Helsinki zu erwischen, jetzt war es drei Uhr. Max nahm einen kräftigen Schluck «Ketju rasvaa» (Kettenfett), Salmiakbonbons in Wodka aufgelöst, eine öligschwarze Brühe, und biss beherzt in einen «Kalakukko» (Fischhahn), einen in Brot eingebackenen Barsch. Dann trennten wir uns.
    Ich stand wie vereinbart pünktlich an der Bushaltestelle, und wer fehlte? Max. Ich hätte es mir denken können, als ich vor ein paar Stunden seinen irren Blick nach dem Schluck Kettenfett sah, aber nun war ich schon einmal hier, der Bus kam, ich stieg ein, stieg auch in den Zug nach Helsinki und war frei. Gleichzeitig fiel mir siedendheiß ein, dass ich kaum noch Geld hatte. Debitkarten hatte damals niemand, ich hatte darauf gehofft, dass Max mir etwas leiht. Wie sollte ich jetzt die drei Tage in Helsinki herumbringen, bis der Rückflug von Tallinn nach Budapest ging, wie die Fähre bezahlen, wo schlafen, was essen, trinken? Ich hatte Helsinki unter anderen Bedingungen kennenlernen wollen, entspannteren, ich wollte irgendwo sitzen, wegdämmern, in einer kleinen Dünnbierbar am Hietalahti-Hafen, dem Industriehafen, aber jetzt, ganz ohne Geld? Als ich am Bahnhof ankam, fühlte ich mich ausgesetzt wie ein Hund an einer Autobahnraststätte, nun sieh mal zu, wie du zurechtkommst, ob sich jemand deiner erbarmt.
    Ich kam auf eine Idee. Ich suchte im Telefonbuch das Büro von Malev Air, vielleicht ließe sich mein Flug umbuchen, vorverlegen, dann müsste ich nur irgendwie eine Nacht in Helsinki herumkriegen. Jetzt am Abend hatte das Büro natürlich schon zu. Ich notierte mir die Adresse, noch hatte ich 100 Finnmark, das waren umgerechnet etwa 20 Euro, davon kaufte ich mir ein Reissumies und zwei Flaschen Karhu-Dünnbier, verdrängend, dass ich ja nun gar kein Geld mehr für die Fähre hatte. Irgendwie würde ich mir das vielleicht von irgendwem leihen können. Ich setzte mich an den Töölösee hinterm Bahnhof auf eine Bank, hier wollte ich auch schlafen, und fühlte mich plötzlich gut. Geht doch alles, siehst du, sagte ich zum Bären auf dem Flaschenetikett, und morgen wird es auch gehen. Gerade als ich meinen Schlafsack ausrollen wollte, sprach mich ein Mann an. Er war nett, höflich, fragte, was ich da vorhätte und ob ich etwas trinken wolle, ja, gerne, er lud mich ein, mit ihm in seine Wohnung zu kommen,

Weitere Kostenlose Bücher