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Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition)

Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition)

Titel: Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tex Rubinowitz
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wurde in einer überheizten Schulaula gezeigt, alle dampften, ich roch meine nassen Socken durch meine Schuhe, das passte ja alles prima zusammen, die diffundierende Nässe und permeablen Düfte, und auf der Leinwand diffundierte Heinz durch die Wände. Die meisten Zuschauer schliefen im finnisch und ungarisch untertitelten Film ein, so als seien sie vom Regen erschöpft. Als der Film zu Ende war und wir die Aula verließen, hatte es aufgehört zu regnen, und in der grellen Sonne standen nun auch meine Mädchen. Ich stellte sie den Jungs vor und meinte, man könne sich ja irgendwo reinsetzen, um sich kennenzulernen, den Mädchen ein paar Filmtipps zu geben und den Abend zu planen, aber weil es so schön war und die Lapplandmeisen ihren übermütigen Gesang anstimmten, bestehend aus diesen fünf bis sechs absinkenden, melancholisch anmutenden Pfeiflauten: «dju-dju-dju-dju-dju», die uns Menschen so glücklich machen, änderten wir den Plan und beschlossen, uns nicht in irgendeine verrauchte Kaschemme zu zwängen, mit zugezogenen Vorhängen, wie es die Finnen gerne haben, weil sie mit der Dauerhelligkeit nicht zurechtkommen, sondern in den Gastgarten einer Minigolfanlage. Ich holte gleich fünf Karhu. Als ich zurückkam, sah ich meine Freunde der Mücken wegen wild um sich schlagen, was mich wieder dozieren ließ. Sie sollten sich doch bitte beruhigen, denn wenn man, sagen wir, zehnmal angeknabbert wurde, ein bisschen gekratzt hat, Jucken, Kratzen, Jucken – eins bedingt das Nächste, wenn sie also diese Kette einfach mal in Frage stellen oder einfacher: ignorieren würden, dann würden sich die Stiche gegenseitig neutralisieren. Der Reiz, die Sensation verblasst, man kommt ja sowieso nicht nach mit dem Kratzen, also kann man es gleich bleiben lassen, und dann hört auch das Jucken auf, was soll also das paranoide Gefuchtle? Letztlich entsteht, wie alles, auch das Jucken im Kopf. Und überhaupt, wir fressen die Meere, die ganze Erde leer, töten, verwursten, kochen jedes Tier, da darf sich doch zur Abwechslung mal eins von ihnen stellvertretend für die Schöpfung ein bisschen an uns laben. Sie sollten sich doch bitte mal entspannen, Kippis (Prost), und das Erstaunliche, die Gruppe folgte meinem Rat, und die Mücken schienen jetzt auch dezenter zu sein, konnte aber auch damit zu tun haben, dass es jetzt wieder zu regnen anfing. Aber wir harrten aus, ist doch schön, im Regen auf einem Minigolfplatz dünnes Bier zu trinken.
    Wir saßen bis 23 Uhr in unserem Basislager, immer mal wieder ging einer, kaufte sich etwas zu essen, einen Reissumies etwa, das ist ein belegtes Brot, im Kioskradio sang sehnsüchtig Tapio Rautavaara «Reissumies ja kissa» (Der Reisemann und die Katze), Wiglaf mampfte an einem Sülzkotelett, das er dick mit Blumenkohl aus der Tube beschmiert hatte, ich ging und kaufte mir Galoschen, um sie über meine kaputten nassen Schuhe zu stülpen. Heidi und Lisi waren erstmals seit Wien wieder etwas netter und freundlicher zu mir, sie schmachteten indessen unverständlicherweise Wiglaf an, nannten ihn Onkel Laffi. Ich entwickelte und zeichnete mit Max Drudel, diese kleinen Vexierbildchen, eine alte Freizeitbeschäftigung von uns. Als der Minigolf-Kiosk zumachte, wechselten wir ins Karhu. Es gab dort eine, noch mit kleinen schwarzen Singles bestückte Jukebox (eine ostdeutsche Polyhymat 80D der Firma Sachsenklang), aber die spielte nur in einer Endlosschleife den damaligen globalen Ohrwurm, die sogenannte Hymne der Wende, «Wind of Change» von den Scorpions. Jemand musste Unsummen in das Lied investiert haben, oder das Gerät «hing». Viele Gäste legten, dem Stupor ergeben, ihren Kopf auf den Tisch und schliefen, wir tranken und rauchten und begannen, das Lied immer mehr zu mögen und mit den Hannoveranern mitzupfeifen, wie die Lapplandmeisen. Während wir Zigarettenkippen im Aschenbecher zu Hakenkreuzen zusammenschoben, erwachte plötzlich ein Gast aus seinem Dämmer, rannte zur Musikbox, sprang wie ein Makake mit einem gellenden Tarzanschrei auf die Kiste, riss sie um, und trottete zurück zu seinem Tisch, wo er sein Haupt wieder zum Schlafen bettete. Nun war es still. Und jetzt passierte etwas Wundervolles: Der Wirt verwies den Rowdy keineswegs der Gaststube, sondern richtete die Vitrine wieder auf, es kamen Gäste und befütterten sie stoisch mit Geld, in der Hoffnung, der Greifarm würde ihre Wünsche aus dem nun am Boden der Truhe liegenden Plattenberg wühlen, doch nichts geschah. Nach einer

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