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Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition)

Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition)

Titel: Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tex Rubinowitz
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Margarine, Brust- und Gichttee, Schneehasen -Zigarren, ein Scheuerpulver namens Quasi und auch ein paar Tütchen mit Gelatine, alle in schlichten, ungeschönten, keinerlei Versprechungen machenden Einheitsverpackungen, hinter den Regalen hingen sechs opulente Ölgemälde aus dem neunzehnten Jahrhundert, der Zeit also von Karl Marx (1818–1883). Jedes Museum, in dem die Wirtschaftswerte gezeigt werden, steuert Bilder aus jener Epoche aus seinem Fundus bei. Beuys’ Wunsch war, dass sie goldgerahmt sein sollten, um den bürgerlichen Geschmack zu unterstreichen, als Kontrast zu den bescheidenen Produkten in den Regalen. Prozesse des Verfalls, der Fermentierung, der Farbveränderungen bei Produkt und Verpackung waren dabei beabsichtigt und sollten auf den kontinuierlichen Wandel der Gesellschaft hindeuten, die Skulptur sollte niemals fertig sein. Die Botschaft ist ohne große Hirnverrenkungen leicht verständlich, Utopie gerinnt hier zu ranzigem Alltag, aus dem jede Hoffung gewichen ist, wie aus einem schlaffen Luftballon, aus Behauptung wird Wahrheit, und die ist grau. Grau ist keine Farbe, grau sind Katzen in der Nacht. Und der Kitt im Fenster, der alles zusammenhält, irgendwie.
    Besuchern der Ausstellung fiel indes auf, dass da neben der Installation noch etwas anderes existierte, ein eigentümlicher Geruch. Der Geruch des real existierenden Sozialismus , dieser typische Mief, Wofasept , das ostdeutsche Einheitsdesinfektionsmittel, Bindehautentzündungen verursachende Braunkohleschatten über den geduckten Städten und der Qualm knatternder Motoren aus Papierautos. Eine olfaktorische Elendsausstellung, gleichberechtigt neben der retinalen Kunst, also der Kunst, die nur die Netzhaut erreicht.
    Als die Künstlergruppe Gelitin (Ali Janka, Wolfgang Gantner, Tobias Urban und Florian Reither) am 29. Februar 2008, also dem Tag, der nur alle vier Jahre existiert, ihre monumentale Werkschau La Louvre Paris (die französische Regierung und das Emirat Abu Dhabi wollen Ende 2012 einen neuen Louvre eröffnen, Gelitin kamen ihnen zuvor und eröffnen in Paris ihren eigenen zweiten Louvre, und sie machen ihn auch noch gleich grammatikalisch zur Frau, um die Scheichs zu foppen) im Musée d’Art moderne de la Ville de Paris, in, Überraschung: Paris eröffnete, war sie näher an Beuys, als das famose Plakat vermuten ließe, auf dem der nackte Vierer gemeinsam Marcel Duchamps Akt, eine Treppe herabsteigend Nr. 2 von 1912 nachstellte.
    Duchamp nannte seinen kurzen Ausflug in den Kubismus «Elementarparallelismus», sein Versuch, ein unbewegtes Bild in ein scheinbar bewegtes zu verwandeln, also auch hier schon die Suche nach einer vierten Dimension, die dann, ohne dass sie es vielleicht so impliziert hätten, die Gelitinbrüder 96 Jahre später einlösen sollten, über den Beuys’schen Umweg 28 Jahre vor ihnen.
    Über der ganzen, 3000 Einzelobjekte umfassenden Ausstellung, Materialschlacht schon eher, hing schwer wie bei Beuys’ Wirtschaftswerten ein eigentümlicher Geruch, mal mehr nach Käse, dann wieder nach Karamell. Die Quellen waren schnell ausgemacht: ein gigantischer aus allen möglichen Käsearten geschnitzter und modellierter Käsefuß, der stoisch vor sich hin dampfte, und in einer anderen Halle mit Melasse übergossene Sperrholzplatten, der ganze Boden klebrig, so als würde sich der eigene Schatten nicht vom Boden lösen wollen. Schwaden beider Gerüche trafen sich da und dort und vermengten sich zu einem dritten, der einen Norweger unruhig werden ließe, erinnert er doch an seinen geliebten Gjetost genannten, zuckersüßen, klebrigen Ziegenmolkekäse aus der Tube. Vorne also der Geruch, und an den Wänden, auch hier wieder die Beuysparallele, eine Unzahl reliefartiger Mona Lisas aus Knetgummi. Diese nicht konservierbaren Zufälle, Parallelen und olfaktorischen vierten Dimensionen sind es, die alles zusammenkleben, Duchamp, Beuys und die Bastelboys von Gelitin, ihre Schatten bilden die Schnittmenge, in denen wir staunenden Besucher uns in ihren Ausstellungen tummeln.
    Auf Duchamps Grabstein steht: «D’ailleurs, c’est toujours les autres, qui meurent» («Im Übrigen sind es immer die anderen, die sterben»). Bei der großen Gelitinsause hätte auf den Eintrittskarten stehen müssen: Für diese Ausstellung musste kein Fuß sterben.
    Als die kleine Band Mäuse , für die ich singe, Geige und Posaune spiele (leider noch nicht gleichzeitig, aber ich arbeite daran), eingeladen wurde, bei der Eröffnung in Paris zu

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