Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition)
spielen, fühlte ich mich natürlich geehrt, und mit mir meine Mannschaft, Potto an der Gitarre, Quehe an der Orgel und Didi am Schlagzeug (klingt wie die Namensansammlung in dem Gedicht von Max Goldt: «Atze, Pit und Wampi», oder jene Textstelle in Morrisseys «Now my heart is full»: «Dallow, Spicer, Pinkie, Cubitt», ein Grüppchen, das sich der zänkische Barde aus Graham Greenes «Brighton Rock» lieh; dieses verdammte unnütze Wissen, das man so jahrelang mit sich herumschleppt, WOZU?). Ich übernahm die Reiseleitung, besorgte Flugtickets, buchte Hotelzimmer (mit Blick auf den Invalidendom) und versuchte die Jungs zu koordinieren, ich, der Flohhirte. Quehe (eigentlich Quehenberger), der fallweise Mitglied des Musik- und Theoriekollektivs Red Krayola von Mayo Thompson ist, drohen dauernd gewaltige Clusterkopfschmerzen anzuwallen, nachdem im Anschluss an einen Gig in Sankt Petersburg Skinheads in Tötungsabsicht auf seine Denkmurmel eintraten, aß im Zubringerzug zum Flughafen seinen gesamten Haschischvorrat auf, um zu verhindern, dass man es ihm abnimmt, er meinte, es sei nicht schlimm, sogar gesund und lindere seine Dauerschmerzen, das sah dann aber anders aus. Er torkelte wie ein Geisterreiter, ein lebender Toter in schwarzer Lederjacke, weiß, wankend, schwitzend, die Gate-Mistress erkundigte sich in einer Mischung aus Besorgtheit und Strenge, ob er fliegen könne (natürlich nicht im geistigen Sinne), sie hatte wohl Angst, dass ihr ein Passagier in den Wolken ablebt oder sonstige Sperenzchen macht, ich beruhigte sie, der sei immer so.
Ich mag meine kleine Band, Mäuse , wir surfen dieselbe Sinuskurve, ja, so kann man das am besten sagen. Der Spexredakteur Hans Nieswandt meinte anlässlich der Besprechung unserer ersten, hybridesten von insgesamt vier Platten ratlos, er sähe uns in einer Vereinigungsmenge aus dem Œuvre von Renée & Renato, der Nihilist Spasm Band und jenem von Alfred Schnittke, womit er nicht ganz unrecht hat. Bedauerlicherweise hat er unseren größten Einfluss überhört, nämlich die klandestinen Spacerocker Lothar and the Hand People . Nach einem Konzert in Halle (in einer halbleeren Halle) schrieb ein wutschnaubender Redakteur des Hallenser Morgen über uns: «Sie hatten keine Idee, wie sie ihre Instrumente spielen sollten, es schien, als wussten sie nicht mal, was das für Instrumente waren, die sie da in ihren Händen hielten.» Einmal bot man uns sogar Geld, damit wir aufhören. Niemanden, wirklich niemanden kann man mit uns vergleichen, nicht im schlechten und schon gar nicht im guten Sinne, und das ist nicht einmal geplant, das hat sich so ergeben (nur so kann es offenbar gehen). Ich würde unsere Haltung einen Instinktiven Stil nennen, geprobt haben wir noch nie, das geht auch so, und zu Auftritten gehört unter anderem ein Ritual, das wir vor jedem Auftritt absolvieren, so als eine Form des Aufwärmens. Wo andere virile Balztänze aufführen oder gar gemeinsam beten (REM, Kings of Leon), versichern wir uns, wie eine Loge, mit diesem selten dämlichen Bandnamen, unseres gemeinsamen, musikalischen Nenners. Wir können uns nämlich, so unterschiedlich wir auch als Einzelindividuen sein mögen, ausgerechnet bei Phil Collins’ «Easy Lover» treffen, dieser herrlich rumpelnde, überschnappende Kracher mit Philip Bailey von Earth Wind & Fire. ALLE, wirklich alle HASSEN Phil Collins, und das ist allein deswegen umso zaubrischer, hier einen nichtironischen Nenner gefunden zu haben, ohne als zitterndes Distinktionshörnchen alleine im sauren Regen der Häme stehen bleiben zu müssen: Schäm dich nicht für das, was die da draußen dir zu hören verbieten wollen. Vor jedem Auftritt ein kleines Schwätzchen über «Easy Lover», wir machen das schon seit Jahren. Manchmal fragen wir auch den DJ, ob er, quasi als Ouvertüre, «Easy Lover» vor dem Auftritt spielen kann, um die Leute zu frotzeln, aber meistens glaubt der DJ, wir würden ihn frotzeln wollen.
Oder wie antwortete einmal Lemmy Kilmister von Motörhead, der auch keine Berührungssorgen mit «dem Anderen» hat, auf die Frage, wie er es mit ABBA halte: «Großartige Songs. Schreib mal einen Song wie ‹Fernando›! Björn ist ein erstklassiger Boogie-Pianist. Dann diese beiden leckeren Mädchen aus dem schwedischen Märchenwald. Ich bin sicher, dass sie keine Ahnung hatten, was sie da für einen Unsinn singen! ‹Can you hear the drums, Fernandoooo? Do you still recall the frightful night we crossed the Rio Grandeeeeeeee?›
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