Rune der Knechtschaft
um herauszufinden, ob sie ein Dämon in der Maske einer Frau war oder nicht …
»Wohl gesprochen, Ayashinata«, sagte der Hohepriester. »Euer Mut ist herzerwärmend. Aber Ihr müsst verstehen, dass schwere Verantwortung auf mir lastet - schwerer vielleicht als die, der sich all meine Vorgänger stellen mussten.
Ich habe heute Nacht sehr lange über die Prophezeiung und über unsere Ursprünge nachgedacht. Wer weiß, ob die Liebe zwischen Arrethas und Prinzessin Elia-Nashira, Eurer fernen Vorfahrin, nicht den Zweck hatte, uns auf diesen Augenblick hinzuführen? Wer weiß, ob die Schicksalsfäden des Arrethas uns nicht heute binden? Ayashinata, Ihr müsst verstehen, dass meine Entscheidung in diesem Prozess von außerordentlicher Bedeutung ist. Ich habe nicht das Recht, mich zu täuschen, denn der nächste Herrscher von Harabec wird die Prophezeiung erfüllen, und wenn er
dessen nicht würdig ist, wenn das Blut des Arrethas nicht in seinen Adern glänzt und er nicht über die Kraft und Macht des Gottes verfügt - was wird dann geschehen?«
Der Hohepriester musterte die drei Verwandten einen nach dem anderen, und Arekh konnte sich vorstellen, welche Last auf seinen Schultern ruhte. Durch seine Entscheidung und die darauffolgende Prüfung würde er in der Tat einen Herrscher bestimmen.
Und die Flamme würde erscheinen, um die Königreiche zu verzehren.
Jeder Fehler würde tödlich sein.
Marikani verneigte sich. »Ich stehe Euch zur Verfügung, Hohepriester.«
Der Priester gab ein Zeichen, und die beiden Assistenten schlugen das große Buch auf. Nun würde eine unendliche Reihe von Fragen folgen, die dazu diente, die Aufrichtigkeit, den Glauben, die Reinheit und die Kraft desjenigen, der sie beantwortete, auf die Probe zu stellen. Harrakin kehrte zu seinem Sitz zurück. Halios blickte auf seine Stiefel hinab.
Der Nachmittag würde lang werden.
Marikani verließ den Tempel erst kurz vor der Badezeit, als die Sonne langsam unterging und den Palast in Feuerschein tauchte. Sie war bleich und erschöpft und zog sich in ihr Schlafzimmer zurück, um sich umzuziehen und Kraft zu sammeln. Der Tag war nämlich längst noch nicht vorüber. Lâ und zwei Monde standen heute in Konjunktion und bildeten so die Konstellation des Wassers; daher würden die beiden folgenden Nächte einer rituellen Orgie zu Ehren Verellas geweiht sein.
Wie jeden Abend würden sich Adlige und Höflinge in den Bädern treffen, aber diesmal würden die Priester, die
zu dem Zweck aus dem Tempel der Göttin in der Stadt angereist waren, die Zeremonie segnen. Zwei Abende lang würde es den Teilnehmern, nachdem sie einen geweihten Trank genossen hatten, freistehen, unter dem wohlwollenden Blick Verellas, die die körperliche Liebe, den Frohsinn und das freie Wasser schützte, ihren Begierden nachzugeben.
Arekh hatte mit Erstaunen aus Vashnis Mund vernommen, dass solche Zeremonien in Harabec nicht selten waren. Günstige Konjunktionen der Himmelskörper traten zwei bis drei Mal im Jahr ein. Ab dem fünfzehnten Lebensjahr konnten hochrangige Knaben und Mädchen sich, wenn sie wollten, im Rahmen dieser Zeremonien in die Liebe einführen lassen. Trotz ihres geheiligten Charakters waren die Verella-Orgien wie alles andere eine Gelegenheit zu intrigieren, und zahlreiche Ehen, Eifersüchteleien und Feindschaften waren dabei schon zustande gekommen oder hatten sich aufgelöst.
Die Verella-Priester segneten die Räume, um sicherzustellen, dass während dieser Liebesspiele keine Kinder gezeugt wurden, aber wenn die Frauen dennoch welche empfingen - denn die Priester waren fehlbar wie alle Menschen, und ihre Macht war nur ein ferner Abglanz derer der Götter -, wurden die Kinder im Verella-Tempel aufgenommen und dort mit besonderer Sorgfalt aufgezogen. Deshalb waren, wie Vashni dem entsetzten Arekh erklärt hatte, die meisten hochrangigen Priester Bastardkinder adliger oder gar königlicher Abstammung.
Arekh beobachtete mit Unbehagen, wie sich die Höflinge zum Bad entkleideten. Die Kulisse war dennoch großartig. Girlanden aus Schlingpflanzen und versilberten Blumen - Silber war die Farbe Verellas - waren an der Decke und an den Säulen befestigt worden. Lange
Tücher aus Organza und bunter Seide flatterten an Seilen befestigt in der Luft, um die vielen Farben und Gesichter des Wassers zu feiern. Die Priester hatten ihr Opfer auf einem langgestreckten Holzaltar dargebracht, der in der Nähe des großen Mosaikbeckens aufgestellt war, aber nur Wohlgeruch
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