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Rune der Knechtschaft

Titel: Rune der Knechtschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ange Guéro
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gigantisch. Die Mauer war über fünf Meter hoch und fünfzehn Meter breit; sie glich eher einem Haus. An der Innenseite war sie im Laufe der Jahre wie ein Bienenstock ausgehöhlt worden - so wie die Höhle des Tempels der Tausend Gesichter, die sie in den unterirdischen Gängen entdeckt hatten.
    Das Tor führte wie ein Tunnel unter der Mauer hindurch; an beiden Ausgängen waren Wachen postiert, um Unerwünschte fernzuhalten, Handelsgüter zu kontrollieren und vor allem den berühmten Wegzoll einzutreiben, der so viele Begehrlichkeiten weckte. Während sie darauf warteten, an die Reihe zu kommen, machten die Händler und das einfache Volk in dem Wirtshaus halt, das zwischen den beiden Toren in die dicke Mauer eingebaut war.
    Im Hof gab es Wasser und Heu für die Tiere, im Innern der Schenke Wasser, Wein, Bier und auch exotischere Getränke, die Händlern abgekauft worden waren, die aus allen vier Himmelsrichtungen der Königreiche kamen. Lohnschreiber verbrachten hier ihre Tage und ließen sich
ein kleines Vermögen dafür bezahlen, Neuankömmlingen dabei zu helfen, Eingaben und Bittschriften an den Bürgermeister aufzusetzen, die oft notwendig waren, um bestimmte Genehmigungen zu erhalten oder ein Gewerbe anzumelden.
    Kurz und gut: Die Schenke war der ideale Ort, um zu warten, ohne Aufmerksamkeit zu erregen, da hier fremde Gesichter niemanden störten und seltsames Verhalten keinerlei Fragen hervorrief.
    Marikani und Lionor setzten sich auf eine der Bänke im Hof und bestellten bei einem überarbeiteten jungen Mädchen einen Krug frischen, mit Honigwasser verdünnten Würzwein und einen Laib Brot. Arekh setzte sich auf der anderen Seite des Hofs auf eine Kiste und tat so, als interessiere er sich für drei Bäuerinnen aus dem Norden, die einander gerade deftige Beleidigungen an den Kopf warfen. Ein Mann ließ dieweil seine Fracht aus Hühnern und Gemüse von einem Karren auf den anderen umladen. Die Hühner gackerten, ein Hund, der an den ersten Karren gebunden war, bellte laut, ein Adliger zu Pferde protestierte mit erhobener Stimme gegen diesen »unerträglichen Lärm«, was natürlich nur noch zum allgemeinen Radau beitrug …
    Die Zeit verging.
    Im Innern der Herberge hatten weinselige Reisende im Chor eine obszöne Parodie eines heiligen Liedes zu Ehren Um-Akrs angestimmt. Der Adlige entfernte sich, nachdem er dem Wirt, der Untröstlichkeit heuchelte, sein Missfallen über dieses skandalöse Verhalten in seinem Haus kundgetan hatte.
    Noch mehr Zeit verging.
    Viennes’ Bote war noch immer nicht da.
    Dem Sonnenstand nach war es schon längst Nachmittag.
Viennes hatte verkündet, dass er einen Reiter zur Schenke schicken würde, sobald er sicher war, dass die Truppen aus Harabec tatsächlich warteten und sich auf den Straßen östlich der Stadt nichts rührte.
    Wie lange brauchte man, um in einer Sänfte die Stadt zu verlassen und den Joar zu überqueren? Doch wohl höchstens zwei Stunden?
    Es waren bereits vier vergangen. Draußen brannte die Sonne, und selbst im Hof, der vom umgebenden Stein geschützt war, wurde es langsam warm und stickig. Eine Schlange aus Karren und Fußgängern hatte sich zwischen den beiden Toren gebildet, und der Geruch nach Tieren, Heu und Essen lag drückend in der Luft.
    Arekh hätte sich gern etwas zu trinken bestellt, hatte aber kein Geld. Bis auf die paar Münzen, die er dem Schäfer für das Essen gegeben hatte, hatte er nie welches gehabt, seit er von der Galeere herunter war.
    Ihm ging auf, dass es einem nicht gerade die Taschen füllte, die Erbin eines Königreichs zu beschützen, solange nichts Offizielles unterzeichnet worden war. Hatte Marikani an dieses Problem gedacht? Hatte sie sich etwa gesagt, dass Arekh alles Geld ablehnen würde, und hatte ihn nicht kränken wollen?
    Hätte Arekh abgelehnt? Vielleicht. Das wäre von seiner Laune abhängig gewesen. Aber währenddessen hatte er keinen einzigen Heller und …
    Marikani war auf eine Gruppe zugegangen, die gerade auf den Hof des Wirtshauses gekommen war. Es waren zwei Männer darunter, Bauern, daneben noch eine etwas übergewichtige Frau; sie hatten ihren Handkarren in einer Ecke abgestellt. Der Karren wurde von einem ins Geschirr gespannten Mädchen gezogen, einem Kind vom Türkisvolk, das acht oder neun Jahre alt sein mochte. Sein flachsblondes
Haar war mit einer schmutzigen Schnur zurückgebunden. Die Kleine trug nur ein Lendentuch, und das blaue Mal zwischen ihren Schulterblättern war deutlich zu sehen, da es gegen

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