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Rune

Rune

Titel: Rune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Hodge
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auf den Wasserturm und hängt eine Puppe an eine der Streben. Letztes Jahr hatte ich übrigens diese ehrenvolle Aufgabe.«
    »Selbst damals schon gefährlich gelebt, ich verstehe.« Sie wies auf meinen Kopf. »Du hast dir die Haare wachsen lassen.«
    »Gefällt’s dir nicht?« Warum war das plötzlich für mich von Bedeutung?
    Sie schüttelte den Kopf. »Doch – wirklich. Es sieht gut aus. Du siehst irgendwie …« Sie neigte den Kopf und legte die Stirn in Falten, als suche sie nach dem richtigen Wort. »… irgendwie edler aus oder so.«
    Mittlerweile wunderten Phil, mein Bruder und seine Freunde sich darüber, mit wem ich da redete, also stellte ich sie vor. Bei Phil und Aaron gab es keine Probleme. Mitch betrachtete sie wie ein jugendlicher Macho, und ich glaube, sie hatte genug Sinn für Humor, um darüber hinwegzusehen. Doch Hürdenspringer starrte sie mit gierigen Schweinsäuglein an und leckte sich dabei schmutzig die Lippen, daß selbst ich mich unbehaglich fühlte. Shelly wich zurück. Und kam mir einen Schritt näher, wie ich merkte.
    Eine Pfeife schrillte auf dem Spielfeld, und eine gelbe Karte wurde gezeigt. Alle von uns wandten sich dem Spiel zu, und der Moment war überstanden. Glücklicherweise.
    »Hör’ mal, es fällt mir nicht leicht«, sagte sie einen Augenblick später, »aber ich wollte dich fragen, ob ich dich um einen Gefallen bitten kann.«
    »Raus mit der Sprache.«
    »Könntest du mich heimfahren? Ich bin mit einer Freundin hergekommen, und ich habe den dringenden Verdacht, daß sie mit jemand anderem heim ist. Seit einer Dreiviertelstunde habe ich keine Spur von ihr gesehen.«
    »Sicher, kein Problem.« Ich blies mir in die Fäuste, um sie zu wärmen. »Ich bin mit Phil hier, aber ihm macht das nichts aus. Er ist der geborene Chauffeur.«
    Wir sahen dem Spiel noch ungefähr eine Minute zu, bis nur noch fünfundfünfzig Sekunden übrig waren und die Rangers eine Verlängerung verlangten. Wir entschieden, vor dem Aufbruch der Massen zu gehen; die Rams hatten den Sieg sowieso in der Tasche. Nachdem wir uns von Aaron und den anderen verabschiedet hatten, gingen wir drei zum Ausgang. Eine Handvoll Menschen tat es uns gleich.
    »Ich möchte mich für die lüsternen Blicke entschuldigen, die dir Chuck Horton zugeworfen hat«, sagte ich.
    »Ich fand ihn irgendwie unheimlich. Ist das ein Freund von euch?«
    »Nein, er ist nur ein Schiff, das unsere Bahn gekreuzt hat.«
    »Ein großes Schiff«, sagte Phil.
    »Eigentlich kann er einem leid tun«, sagte ich. »Der einzige Grund, warum mein Bruder und dieser andere sich mit ihm abgeben, ist, daß er schon Alkohol kaufen kann.«
    »Das steigert seinen Marktwert natürlich beträchtlich«, sagte sie und lachte kurz.
    Wir kamen zum Wagen, und Phil sagte: »Da sind wir.«
    Shelly blieb stehen und starrte den Duster an. Zuerst dachte ich, daß sie sich weigern würde, einzusteigen. Doch sie legte ihre behandschuhte Hand darauf und erklärte: »Dieses Auto hat Charakter.«
    Ich verdrehte die Augen. »Sie ist eine von deiner Sorte«, sagte ich zu Phil, der ziemlich geschmeichelt war.
    Ich blickte hoch in den Nachthimmel, in das Kommen und Gehen der Wolken. Der Mond schien durch einen Riß, und meine Augen wanderten zum Wasserturm. Der Ranger hing noch dort, reglos trotz der Brise, als wäre – (die Cheerleader haben gerade eine Rangers-Puppe zerfetzt) – er viel schwerer als ein paar Kleider, die mit Kissen gefüllt waren.
    Als wäre er echt.
    Mein Herz fing wild zu pochen an. Mein Mund klaffte, und halb bemerkte ich, wie Shelly sich umdrehte, um zu sehen, was ich so faszinierend fand. Phils Tür schlug zu, als ein anderer Wagen um die Ecke kam, mit strahlenden Scheinwerfern, welche die untere Hälfte des Wasserturms streiften. Hell, so hell. Sie erleuchteten das dort hängende blutige Fleisch.
    Shelly stieß einen erstickten Schrei aus, und einen Augenblick später tat ich dasselbe. Denn der Alptraum war mit ganzer Macht zurückgekehrt, und der Mühlstein legte sich wieder um meinen Hals und zog mich hinab, hinab, hinab …
    Ich wußte nun, warum Aarons Freund Bobby es nicht zum Spiel geschafft hatte.

Vierter Teil:
OFFENBARUNGEN
     
30.
     
    Aaron und ich hatten beim Ende des Footballspiels etwas Neues gemeinsam: Jeder von uns hatte einen nahen Freund verloren.
    Bobby Dennison war Freitag nacht auf besonders brutale Weise ermordet worden. Jemand hatte ihn niedergeknüppelt, dann ein langes Messer in seinen Rücken und seine Rippen gestoßen und im

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