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Runen

Runen

Titel: Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elias Snæland Jònsson
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die aus einer Handvoll Leute bestand und die Hetzereien und gelegentlich sogar direkte Angriffe auf in Island ansässige Ausländer verübte. Der Geheimdienst hatte einen verdeckten Ermittler in die Führungsriege dieser Vereinigung einschleusen können. Dabei war bestätigt worden, dass zwei Tage bevor Melkorka die Leiche von J. D. Forster jr. in dem |272| Gästehaus gefunden hatte, auch eine Deutsche an einer solchen Versammlung teilgenommen hatte. Man stellte ihre Tätigkeit in den Führungsgremien europäischer Neonazivereinigungen vor. Die isländische Vereinigung hatte Interesse an der Zusammenarbeit mit anderen europäischen Gruppen signalisiert. Der Ermittler bestätigte außerdem, dass Ragna Ámundadóttir dem Treffen ebenfalls beigewohnt hatte. Sie zählte auch zur Führungsriege der isländischen Vereinigung.
    Eigentlich hegte der Kriminalhauptkommissar also keinen Zweifel daran, dass Greta Schneider hinter der Entführung des kleinen Darri steckte. Der anonyme Anruf bei Kári schien diese Annahme zu bestätigen. Dennoch fragte er sich verwundert, wie es möglich gewesen war, dass die Deutsche die europäische und internationale Polizei jahrelang an der Nase herumgeführt hatte. Er hatte einige Fortbildungsseminare bei Europol und Interpol besucht, wo es über Beobachtungsmethodiken von Neonazis und anderen vergleichbaren fanatischen Vereinigungen in Europa ging. Dabei war ihm klargeworden, dass der Polizei die bedeutendsten Personen aus den Führungsriegen der Neonazis stets bekannt waren und sie diese eigentlich immer ohne großen Vorlauf festnehmen konnten, sobald es einen Grund dafür gab.
    Für diese Deutsche galt das offenbar nicht. Warum?
    Gegen halb sechs Uhr morgens gönnte sich Guðjón eine Dusche. Dann nahm er einen kräftigen Schluck Kohlfisch-Lebertran direkt aus der Flasche und neutralisierte den öligen Geschmack mit starkem Kaffee. Anschließend rief er Pierre Lejeune zu Hause an. Es war der einzige persönliche Bekannte, den Guðjón während seiner Seminare |273| bei der europäischen Polizei näher kennengelernt hatte. Pierre hatte jahrelang bei der Kripo in Brüssel gearbeitet und war dann zum Abteilungsleiter von Europol aufgestiegen. Guðjón legte Pierre die Situation klar und offen dar. Pierre kannte aber weder den Namen Greta Schneider noch Richthoven. Er versprach jedoch, der Sache nachzugehen und so bald wie möglich wieder von sich hören zu lassen.
    Bei Guðjóns Morgenbesprechung gingen sie die Hinweise zu Ragna und Sigríður noch einmal durch.
    »Sigríður hat vor vier Tagen einen Jeep gemietet«, berichtete Erna. »Sollten wir nicht danach fahnden lassen?«
    »Auf jeden Fall«, antwortete Guðjón. »Aber es darf nirgends durchsickern, dass das mit der Suche nach dem Kleinen zu tun hat, ist das klar?«
    »Ja, natürlich.«
    Sie beschlossen, mit allen verfügbaren Kräften nach dem Jeep zu fahnden und gleichzeitig die Bank- und Kreditkartentransaktionen der beiden Frauen intensiv zu prüfen. Guðjón wollte noch weiter gehen und beantragte eine förmliche Abhörerlaubnis für die elterlichen Telefonleitungen. Doch als seinem Chef, dem Kriminalgruppenleiter, klar wurde, dass davon auch der Oberstaatsanwalt Ámundi Hreinsson betroffen sein würde, machte er ein bedenkliches Gesicht.
    »Wir können nicht mit einer Hand auf den Rücken gefesselt nach dem Jungen suchen«, stöhnte der Hauptkommissar. »Wenn eine der beide Frauen nach Hause telefoniert, können wir ihren Standort ermitteln und damit möglicherweise auch den Aufenthaltsort des Jungen.«
    Nach einigem Hin und Her einigte man sich auf die |274| salomonische Lösung, eine Abhörerlaubnis für das Telefon der Eltern Sigríðurs zu beantragen.
    »Nach unseren Informationen ist es sowieso wahrscheinlicher, dass sie ihre Mutter anruft, als dass Ragna das tut«, stellte der Kriminalgruppenleiter fest, während er den Eilantrag an das Gericht unterschrieb.
    |275| 60
    Melkorkas Schlaf war bis in den Morgen hinein unruhig. Fast ununterbrochen wälzte sie sich von einer Seite auf die andere und schreckte immer wieder aus einem unruhigen Schlummer hoch, wenn sich die Erlebnisse des Vortags in ihre Träume drängten.
    Gegen sechs erwachte sie schweißgebadet, stand mühsam auf und nahm eine ausgiebige heiße Dusche. Ihr war noch immer komisch und etwas wirr zumute; sicher Nachwirkungen des Serums, das man ihr in der Holzhütte verabreicht hatte. Aber sie biss die Zähne zusammen.
    Gegen zehn Uhr vormittags hob der Privatjet

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