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Runen

Runen

Titel: Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elias Snæland Jònsson
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nicht lieber auf das Sondereinsatzkommando warten?«, fragte sie Melkorka.
    »Wozu das denn?«, zischte Melkorka. »Das sind doch nur zwei Mädchen.«
    Der Hauptkommissar überlegte.
    |283| »Also gut«, entschied er schließlich. »Wir versuchen, sie in der Menschenmenge dort oben zu überraschen und ihnen den Jungen ohne großes Aufsehen wegzunehmen.«
    Er sah Melkorka streng an: »Aber du hältst dich stets hinter uns, kapiert?«
    Melkorka nickte.
    Eilig verließen sie den Parkplatz bei der Tankstelle, überquerten die Straße und betraten durch ein offenstehendes Gatter die Geysirzone. Sie folgten dem gepflasterten Weg zu den großen heißen Becken, die auf halber Höhe eines relativ breit gezogenen Hügels lagen. Kinder und Erwachsene, Frauen und Männer bestaunten und fotografierten die ersten heißen Quellen, die links des gepflasterten Wegs dampften. Wasser oder Schlamm brodelte hier in vielen Quelltöpfen unterschiedlicher Größe. Die Schlammsprudel erinnerten Guðjón einmal mehr an die Kessel der Teufel aus den phantasievollen Schilderungen religiöser Schriftsteller früherer Jahrhunderte. Viele in- und ausländische Touristen schlenderten weiter hinauf zu den großen Quellbecken oder kamen eben von dort zurück. Sie hatten das Schauspiel des Strokkur dort oben genossen. Strokkur, das »Butterfass«, war mittlerweile der einzige regelmäßig aktive Geysir dieses Gebiets. Seit einigen Jahrzehnten erfolgten die Heißwassereruptionen im Abstand weniger Minuten; genauer gesagt, seit isländische Bohringenieure der Natur zu Hilfe gekommen waren und Strokkurs Quellschacht um etwa vierzig Meter vertieft hatten. Wenn er ausbrach, schoss eine kochendheiße Wasser- und Dampfsäule zwanzig Meter hoch in den Himmel.
    Eine dichtgedrängte Touristenschar stand um die niedrige und dürftige Absperrung, die man um Strokkurs fast |284| kreisrunde Öffnung gezogen hatte. Sie hielten ihre Kameras bereit und warteten. Sigríður und Ragna hatten sich auf der dem gepflasterten Pfad gegenüberliegenden Seite in den Ring um Strokkur gestellt. Das Kind, das sie aus dem Wagen nahmen, war zu weit weg, als dass Melkorka hätte sagen können, ob es tatsächlich ihr Sohn war. Außerdem hatte es eine Kapuze auf. Trotzdem war sie sicher: Es musste Darri sein.
    Ragna nahm den Kleinen auf den Arm. Sie stand nur einige Meter vom gähnenden Schlund der Quelle entfernt, in dem das kochendheiße Wasser unruhig hin und her schwappte. Dann wölbte es sich plötzlich in einer beeindruckenden blauen Blase auf und wurde schließlich emporgeschleudert. Die in sich zusammenstürzende Wassersäule verwandelte sich in weißen Dampf, der im hellen Sonnenlicht glitzerte.
    Guðjón und Erna hatten nur noch wenige Meter bis zum Strokkur zurückzulegen, als einige Touristen unruhig wurden. Sie wandten sich gen Osten, wo der berühmte Namensgeber aller heißen Springquellen, der Große Geysir, schon seit langem in tiefem Schlummer lag.
    Der Kriminalhauptkommissar fluchte leise, als er die zwölfköpfige Gruppe schwarzgekleideter Männer mit Sturmgewehren im Anschlag über einen gepflasterten Pfad direkt auf sie zurennen sah.
    Ragna und Sigríður hatten das Sondereinsatzkommando natürlich auch bemerkt. Sie blickten einander erschrocken an.
    Als Guðjón und Erna über die gefährlich glatten und rutschigen Sinterterrassen rund um Strokkurs Öffnung sprangen, um Darri zu befreien, ergriff Sigríður die Flucht. |285| Sie rannte und sprang hakenschlagend zwischen den dampfenden Becken hindurch und verschwand in einem kleinen Wäldchen auf dem oberen Teil des Hügels.
    Ragna dagegen dachte nicht an Flucht. Vielmehr stieg sie mit dem Kleinen im Arm über die niedrige Strokkur-Absperrung. Etwa fünfzig Zentimeter vor dem dampfenden Schlund, in dem das kochende Wasser schon wieder unruhig schwappte, blieb sie stehen.
    Voll Entsetzen registrierte Melkorka, dass Ragna den Jungen mit beiden Händen hochhielt und wie von Sinnen kreischte: »Wenn ihr mich anrührt, schmeiß ich ihn rein!«
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    »Nein!«, schrie Melkorka entsetzt.
    Sie wollte losrennen, um Darri zu retten, doch Guðjón hielt sie mit beiden Händen fest.
    »Warte«, sagte er ruhig. »Überlass das uns!«
    Auf dem von Dampfschwaden durchzogenen Geysirareal brach heillose Verwirrung aus, als die bewaffneten Männer der Spezialeinheit auftauchten. Verängstigte Touristen rannten mit ihren Kindern in alle Richtungen davon. Einige drängten sich in der Aufregung gegenseitig von den markierten

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