Runen
zum Abschied und stand auf.
|301| VIERTER TEIL
DIE SCHÄTZE DER GÖTTER
Geborsten war der Balken Wall
der Burg der Asen.
Aus »Der Seherin Gesicht« (Völuspá), Vers 24.
66
Mittwoch, 11. Juli
Der Südoststurm trieb schwere Regenschauer über das Meer. Ohne Unterlass peitschten sie gegen Fenster und Dach des kleinen Flughafengebäudes auf der Insel Heimaey, in dem Melkorka ungeduldig auf ein Taxi wartete.
Sie betrachtete die grobe, moosbewachsene Lava am Rand des Parkplatzes. Sie dachte daran, wie sie sich während der zwei Sommer hier ganz allmählich an Regen und Nebel auf diesem windumtosten Eiland gewöhnt hatte. Höskuldur Steingrímsson hatte sich von Wind und Wetter niemals schrecken lassen: »
Unfug, sich drinnen zu verkriechen, wenn es draußen regnet und stürmt
«, hatte er einmal zu seiner Enkelin gesagt. »
Nie darfst du den Naturgewalten erlauben, über dein Leben zu bestimmen. Ganz im Gegenteil sollst du immer das tun, wozu du gerade Lust hast. Ob es stürmt oder schneit oder die Sonne lacht.
«
Sieben Wochen waren vergangen, seit Melkorka ihren |302| Sohn zurückbekommen hatte. Seither hatte sie alles darangesetzt, ihr Leben wieder in geordnete Bahnen zu lenken. Sie hatte für Darri eine neue Tagesmutter gefunden und rief außerdem mehrmals täglich bei ihr an, um sich zu vergewissern, dass es dem Kleinen gutging. Im Übrigen konzentrierte sie sich ganz auf ihre Arbeit in der Nachrichtenredaktion. Die meisten hatten dort die Gerüchte über Melkorka und ihren Großvater schon zur Genüge ausgeschlachtet.
Auch zu Erna hielt sie regelmäßigen Kontakt, deren Verletzungen bereits gut verheilt waren. Sie trafen sich gelegentlich morgens im Fitnessstudio, in dem sich die Kommissarin fit zu halten versuchte, während sie ungeduldig darauf wartete, wieder arbeiten zu können.
Trotz ihres Krankenstandes verfolgte Erna aufmerksam die Bearbeitung des Entführungsfalls durch die Kripo. Als der Fall an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet wurde, erzählte sie es Melkorka. Sigríður und Ragna hatten auf alle Fragen der Polizei bisher beharrlich geschwiegen.
»Die Beweise gegen sie sind natürlich erdrückend. Immerhin hat man sie mit dem Kind im Arm gestellt«, meinte Erna. »Den Gang der Gerechtigkeit wird das natürlich nicht ändern, wenn sie sich weiterhin nicht zu dem Fall äußern. Das ist unbestreitbar ein merkwürdiges Verhalten. Aber es scheint mir unwahrscheinlich, dass sie ihr Kartell des Schweigens aufrechterhalten können, wenn der Fall erst einmal vor Gericht gekommen ist.«
»Und warum?«
»Ich habe gehört, dass Ámundi Hreinsson, der Oberstaatsanwalt, seine Tochter massiv dazu drängt, Sigríður alle Schuld zuzuschieben.«
|303| »Aber es war doch Ragna, die gedroht hat, den Kleinen in die heiße Quelle zu werfen.«
»Ámundi hat sich kürzlich Guðjón gegenüber dahin gehend geäußert, dass Ragna einen kurzfristigen vorübergehenden Anfall von Geistesverwirrung erlitten hat. Aufgrund der schweren Verängstigung, die sie wegen des plötzlichen Auftauchens des Spezialkommandos ergriffen hatte. Ich vermute, Ámundi hat schon irgendeinen Psychologen an der Hand, der ihm das schriftlich bestätigt. So hofft er, dass Ragna wegen ihres psychischen Zustands als nicht schuldfähig erklärt wird.«
»Sie muss die Verantwortung für ihr Tun übernehmen und Sigríður auch«, sagte Melkorka. »Alles andere wäre eine Verhöhnung unseres Rechtssystems.«
»Ámundi ist ein äußerst kluger und gerissener Jurist«, entgegnete Erna. »Es fällt ihm unglaublich leicht, selbst an den stärksten Beweisen Zweifel aufkommen zu lassen.«
Robert M. Houston hatte Melkorka zudem zwei E-Mails geschickt. Zusammen mit Susan betrieb er weitere Forschungen zum
Einsatz Rheingold
, der geheimen Mission von Rudolf von Trittenheim und Gruppenführer Gerhard von Ramstein mit der U-703 in Nordamerika zu Beginn des Winters 1944.
»
Wir suchen nach weiteren Informationen zur letzten Fahrt dieses U-Bootes
«, schrieb der Professor. Er fügte hinzu, dass seine Arbeit für das Simon-Wiesenthal-Zentrum in Jerusalem und seine Verbindungen zu ehemaligen Geheimdienstleuten ihm jetzt sehr von Nutzen seien.
»
Ich bezweifle, dass das U-Boot nach Kanada gelangt sein kann, ohne dass dies irgendwo in geheimen Berichten
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aus dieser Zeit vermerkt wäre. Natürlich ist es denkbar, dass das U-Boot auf seinem Weg über den Ozean versenkt wurde. Aber wenn es sein Ziel erreicht hat, was ist dann aus v. Trittenheim
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