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Runenschild

Titel: Runenschild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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umzukehren und sein Glück bei einem der anderen Stollen zu
versuchen.
Auch der zweite Durchgang war eine Enttäuschung. Der
Boden war hier zwar eben, aber der Tunnel führte gute
fünfzig oder sechzig Schritte weit in den Berg hinein, wo
er sich gleich dreimal verzweigte. Man musste nicht unbedingt ein Kind sein, um sich davor zu fürchten, sich in
diesem Labyrinth zu verirren. Lancelot dachte einen Moment ernsthaft darüber nach, einem der Gänge zu folgen,
entschied sich aber dann dagegen. Niemand wusste, dass
sie hier unten waren. Niemand würde sie hier suchen, und
selbst wenn, konnte ihnen vermutlich auch niemand zu
Hilfe eilen, sollten sie sich tatsächlich verirren. Mit einer
wortlosen Geste bedeutete er Gwinneth, kehrtzumachen,
was sie deutlich erleichtert tat, und sie traten wieder in die
große Höhle hinaus und wandten sich dem vorletzten verbliebenen Durchgang zu.
Auch dahinter lag ein weiterer Gang, der jedoch nur wenige Schritte weit führte, bevor sich die Wände abermals
zu einer großen, hohen Höhle weiteten. Lancelot sog erstaunt die Luft zwischen den Zähnen ein und blieb so
abrupt stehen, dass Gwinneth fast gegen ihn geprallt wäre.
Als sie sich an ihm vorbeischob und einen Blick in die
Höhle warf, gab auch sie einen überraschten Laut von
sich.
Der Boden war nicht mit Stein bedeckt. Vor ihnen breitete sich ein weiter, nahezu perfekt runder See aus, aus
dessen Mitte ein bizarres Gebilde aus leuchtenden, buntfarbenen Kristallsäulen und -spitzen wuchs. Ein sonderbarer Klang lag in der Luft, nicht wirklich zu hören, aber
deutlich zu spüren; etwas wie Musik, die versuchte Gestalt
anzunehmen. Über dem Wasser lag ein dünner Nebel, der
in beständiger Wallung war, als bewegten sich unsichtbare
Dinge darin, und auf der anderen Seite des Sees, sicherlich
fünfzig oder sechzig Schritte entfernt und mehr zu erahnen
als wirklich zu erkennen, erhob sich ein riesiges schwarzes
Tor in der Felswand, das mit fremdartigen Runen und Hieroglyphen übersät war.
»Das ist … unglaublich«, flüsterte Gwinneth. »So etwas
habe ich noch nie gesehen.«
Lancelot schwieg. Der See und sein Herz aus magischen
Kristallen waren keine genaue Kopie dessen, was er unter
den Mauern Malagons gefunden hatte, aber die Ähnlichkeit war zu groß um Zufall zu sein. Außerdem konnte er
die Magie spüren , die dieses unheimliche Kristallgebilde
ausstrahlte.
»Das muss der See sein, in dem er Artus gefunden hat«,
flüsterte Gwinneth.
Lancelot sah sie überrascht an. »Wen?« Bevor sie antwortete, warf Gwinneth ihm einen sonderbaren Blick zu.
»Für jemanden, der in Artus’ und Merlins unmittelbarer
Nähe groß geworden ist, weißt du erstaunlich wenig über
sie.« Sie deutete auf den See. »Es heißt, Merlin habe Artus
am Ufer eines unterirdischen Sees gefunden, als er noch
ein Baby war. Ich habe immer geglaubt, es wäre nur eine
Legende.« Lancelot kniff nachdenklich die Augen zusammen.
Auch er war als Kleinkind am Ufer eines Sees gefunden
worden, ebenso wie Gwinneth. Wie viele noch?, fragte er
sich. Langsam ließ er sich in die Hocke sinken, streckte
den Arm aus und tauchte behutsam die Hand ins Wasser.
Es war warm. Nicht nur nicht kalt , sondern eindeutig warm . Und es fühlte sich auf eine fast unmöglich in Worte
zu kleidende Weise anders an, als sich Wasser im Allgemeinen eben anfühlen sollte. Wäre ihm der Gedanke nicht
selbst absurd vorgekommen, hätte er gesagt, lebendig .
»Was mag hinter dieser Tür sein?«, fragte Gwinneth.
Er war nicht sicher, ob er die Antwort darauf wissen
wollte. Die Runen, die in das schwarze Eisen der beiden
riesigen Torflügel eingearbeitet waren, kamen ihm auf
sonderbare, aber unheimliche Weise vertraut vor, so wie
dieser ganze Raum, und die Erinnerung, die er damit verband, war eher abschreckend. Die Tir Nan Og mochte
seine Heimat sein, doch die wenigen Male, die er dort gewesen war, hatten fast in einer Katastrophe geendet.
Und als hätte sie seine Gedanken gelesen, sagte Gwinneth: »Wenn es das ist, wofür ich es halte, dann … dann
sind wir vielleicht am Ziel.«
Lancelot sah sie fragend an. Er schwieg. Sein Herz begann zu klopfen.
»Vielleicht können wir hinüber«, murmelte Gwinneth.
Vielleicht konnten sie das tatsächlich. Lancelot war diesen Weg schon mehr als einmal gegangen. Aber was,
dachte er, wenn es genau das war, was Morgaine wollte?
Gegen jede Wahrscheinlichkeit hatte er ihr mehr als einmal in dieser Welt getrotzt und

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