Runenschwert
verloren«, meinte Finn.
» Nein, verloren sind sie nicht«, erwiderte Botolf vergnügt und betrachtete seine Schnittwunde. » Ich habe gehört, die sind jetzt bei Vater Barick.«
» Wer oder was im Namen von Odins Arsch soll denn das sein?«, schrie Finn so laut, dass alle um uns herum aufwachten und schimpften, er solle gefälligst nicht so einen Krach machen, hier versuchten Leute zu schlafen.
» Langsam, Rosskopf!«, sagte ich und legte ihm die Hand auf den Arm. » Schlafen wir erstmal drüber. Morgen sehen wir dann, ob wir jemanden finden, der darüber etwas weiß.«
Murrend rollte Finn sich zusammen. Botolf zuckte mit den Schultern, dann packte er mich beim Handgelenk.
» Gut gemacht, Orm«, sagte er. » Valgard Skafhogg war sich ganz sicher, dass es unser Wyrd ist, wie Neidinge zu sterben. Er glaubte nicht daran, dass du den Mut haben würdest, uns zu retten. Ich freue mich schon jetzt auf sein Gesicht, wenn wir ihm die Ketten abnehmen.«
Er legte sich hin und fing sofort an zu schnarchen. Ich beneidete ihn, denn in meinem Kopf kreisten tausend Gedanken und ließen mich nicht zur Ruhe kommen. Wir suchten jetzt nicht nur das Runenschwert, sondern auch unsere Rudergefährten, und gewiss würde die nächste Herausforderung nicht lange auf sich warten lassen, denn es ist bekannt, dass die Nornen immer drei Fäden auf einmal spinnen.
Am nächsten Morgen spritzten wir uns kaltes Wasser ins Gesicht, dann liefen wir in Skarpheddins Lager herum und fragten nach Vater Barick. Wir ernteten nichts als seltsame Blicke, Kopfschütteln und Schulterzucken. Keiner konnte mit diesem Namen etwas anfangen.
Im Lager herrschte geschäftiges Treiben, eigentlich war es ein regelrechtes Dorf aus Zelten, dessen Bewohner ihren Beschäftigungen nachgingen als seien sie noch in ihrem Heimatdorf zwischen den Hügeln, die grün vom Gras des Frühlings waren und über denen Raben und Möwen kreisten.
Sie arbeiteten an der Drehbank, nähten Schuhe, traten den Blasebalg, schmiedeten an der Esse und kochten nahrhafte Gerichte, wie man sie in der Kälte Norwegens schätzt. Sie ignorierten die zunehmende Hitze; den Himmel, der so hellblau war, dass er fast weiß wirkte; die Hügel mit ihrem verdorrten Strauchwerk und das schrille Quietschen der norias, der riesigen Wasserräder, mit denen das Wasser des Orontes in Eimern zu den alten römischen Aquädukten hochgezogen wurde, um die Felder Antiochiens zu bewässern.
Zur allgemeinen Geschäftigkeit trugen auch die Händler bei: jüdische Chasaren mit langen Bärten, die ich bereits in Birka gesehen und gegen die ich in Sarkel gekämpft hatte; dickbäuchige Araber, wohlhabende Griechen und sogar ein paar Slawen und Rus, die Geschäfte witterten und Schnäppchen anboten.
Da Skarpheddin sich von einem Teil des Geldes getrennt hatte, das er uns schuldete, benutzten wir diese Gelegenheit, unsere Ausrüstung instand zu setzen. Schließlich schickte ich Finn zur Elk zurück mit dem Auftrag, sechs Mann als Wachen einzuteilen, die jeweils zwei Tage Dienst machen sollten, der Rest sollte hier herauf ins Lager kommen.
Ich hatte keine Ruhe mehr. Ich wollte dringend von hier weg, um der nächstbesten Spur zu folgen, aber ich fand keine Spur, weder von Starkad noch von einem mysteriösen Vater Barick.
Mit einigem Feilschen erstanden Radoslaw, Bruder Johannes und ich guten Vadmalstoff, um Zelte zu errichten, und ich kaufte mir eine neue gestreifte Hose, wie die Rus sie tragen, und einen Umhang mit einer schönen Fibel.
Bruder Johannes ergriff die Gelegenheit und sah sich auch meine Knie wieder einmal an. Als er sich aufrichtete, kratzte er sich versonnen den Kopf, dann musterte er meine Handflächen. Langsam wurde ich unruhig.
» Was ist?«, fragte ich, wobei ich mich bemühte, keine Besorgnis zu zeigen. » Wie lange habe ich noch?«
Er runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. » Länger als alle anderen«, erwiderte er und nahm Radoslaws Hand. » Sieh dir das mal an.«
Radoslaws Hand war schwielig und voller Narben, alte weiße Narben, frische rote Narben und auch einige, die eitrig waren.
» Na und?«, sagte ich. » Die hat doch jeder. Von den Tauen. Kleine Schnitte vom Schwert.«
» Deine sind alle alt«, sagte Bruder Johannes. » Vor langer Zeit schon geheilt. An deinen Knien, die du dir auf Patmos aufgeschlagen hast, wird kaum eine Narbe zurückbleiben.« Er seufzte. » Es ist schon eine ungerechte Welt. Vitam regit fortuna non sapientia – das Leben des Menschen wird vom Zufall,
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