Runlandsaga - Die Schicksalsfestung
ohne seinem Blick auszuweichen. »Ich weiß nicht auf alles eine Antwort. Wir werden es herausfinden, wenn wir unser Ziel erreicht haben.«
Die anderen betrachteten aufmerksam die Deckplanken, anstatt ihr ins Gesicht zu sehen. Neria spürte die dunkle Saat der Zweifel und Sorgen, die seit dem Aufbruch von Irteca in jedem der Männer aufgegangen war, genährt von der zermürbend langen Fahrt ins Ungewisse durch diese graue Dämmerwelt. Noch vertrauten sie Suvare. Ihre Anführerin hatte sie erfolgreich durch zahlreiche Gefahren gebracht. Sie war das Haupt ihrer kleinen Familie, es schien undenkbar, sich gegen sie aufzulehnen. Die Frage war nur, wie lange dies so bleiben würde.
Torbin ließ nicht locker. »Aber was werden wir denn tun?«
Suvare und Neria wechselten einen Blick. »Das kann ich dir nicht sagen«, entgegnete Suvare schließlich. »Aber ich bin davon überzeugt, dass wir es herausfinden werden, wenn der Zeitpunkt gekommen ist und wir den Rand der Welt tatsächlich gefunden haben.«
»Genauso gut könnten wir mit verbundenen Augen segeln«, brummte Calach so leise, dass er sich nicht den Vorwurf gefallen lassen musste, eine Meuterei zu schüren. Er griff sich seinen leeren Eimer und machte, dass er in die Kombüse kam.
Die Nacht brach auch nach mehreren Wachablösungen an Deck nicht an. Stattdessen fuhren sie weiter durch das fahle Dämmerlicht nach Norden. Es hatte aufgehört zu schneien, aber der Himmel hing mit einer gleichförmigen Wolkendecke schwer über der Tjalk, und keiner wusste mehr, wann der neue Tag angebrochen sein mochte, denn die Sonne war und blieb unsichtbar. In der Khorskajüte befand sich eine Sanduhr auf dem Tisch, die eine halbe Stunde maß. Suvare übertrug Neria die Aufgabe, sich darum zu kümmern, diesen Zeitmesser pünktlich umzudrehen, sobald der Sand durch das Glas gelaufen war. Auf diese Weise war es ihnen wenigstens möglich, zu sagen, wie lange sie schon unterwegs waren, und wann die nächste Wachablösung anstand.
»Wie schaffst du es, das Schiff weiter nach Norden zu steuern?«, fragte Neria Suvare, als diese nach Stunden zu ihr in die Kajüte trat, um etwas zu essen und sich auszuruhen, nachdem sie Torbin das Steuer übergeben hatte. »Ich kenne mich ja mit euch Seeleuten nicht aus, aber braucht ihr nicht entweder den Stand der Sonne oder die Sterne, um zu wissen, in welche Richtung ihr fahren müsst? Im Moment können wir nichts davon am Himmel sehen.«
Suvare schnitt sich mühevoll zwei Scheiben von einem steinharten Laib Brot ab und beschmierte sie mit Schmalz. Sie betrachtete nachdenklich ihr Essen, bevor sie antwortete.
»Ich verstehe es selbst nicht. Ich komme mir vor wie einer dieser Zugvögel, die auf ihrem Weg in den Norden Hunderte von Meilen über Gebirgspässe und ferne Länder zurücklegen, um schließlich an dem Ort anzukommen, an dem sie aus ihren Eiern schlüpften.« Sie hob den Kopf, und die Voronfrau sah die Verwirrung in ihrem Gesicht, ein ungewohnter Anblick, der Neria einen kalten Schauer über den Rücken laufen ließ.
»Ich weiß es einfach.« Suvare zuckte hilflos die Schultern. »Wenn ich das Steuerrad halte, dann ist mir, als ob etwas meine Hände führen würde. Wir fahren so genau nach Norden, als würde uns etwas an einem unsichtbaren Tau in diese Richtung ziehen.« Sie hob eine Scheibe Brot an ihren Mund, um davon abzubeißen, legte sie dann aber zurück auf ihren Teller und stand abrupt auf.
»Eigentlich sollte ich froh darüber sein, dass wir uns dem Ziel unserer Reise nähern. Aber ich mag es nicht, keine Kontrolle über das zu haben, was geschieht. Und vor allem mag ich nicht geführt werden wie eine Puppe. Das schmeckt mir nicht. Es hat etwas von Magie, und damit konnte ich noch nie etwas anfangen.«
Neria nickte langsam. »Ich kann dich gut verstehen. Als ich den Roten Wald auf meiner Suche nach euch verließ, war es für mich anfangs ebenso ungewohnt, vom Wächter unseres Stammes geführt zu werden. Aber letztendlich vertraue ich ihm, denn als unser Urahne gehört er zu meiner Familie.«
»Ich war noch nie besonders gut darin, mein Schicksal in fremde Hände zu legen«, sagte Suvare. »Mir ist dann, als würde ich mich selbst aufgeben. Ich weiß nicht, ob ich den Weg gehen könnte, den dein Urahne dich bis zu uns geführt hat, und den du selbst jetzt immer noch gehst. Bestimmt haben die Dunkelelfen richtig entschieden, als sie dich ausgewählt haben, die Schicksalsfestung zu finden.«
Neria erwiderte nichts darauf. Wenn sie
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