Runlandsaga - Die Schicksalsfestung
von der er ihr in Carn Taar berichtet hatte. Er sandte Manari dieses Bild und spürte ihre freudige Erregung. Ihre Antwort erfolgte sofort, obwohl er spüren konnte, wie sehr dieses wenn auch schwache Sellarat ihrerseits sie anstrengte.
Er sah sie, wie sie aus dem Haus ihres Vaters stürmte, um nie wieder dorthin zurückzukehren. Um diesen Teil ihres Lebens wusste er. Sie hatte ihm von dem Bruch mit ihrer Familie erzählt, als sie in Ascerridhon dem Kreis der Stürme beigetreten war und ihn kennengelernt hatte. Er wusste, wie sehr sie sich dafür schämte, aus dem Haus eines Verräters zu stammen. Vielleicht hätte sie sich nicht so völlig verbissen in der Rangordnung des Ordens hochgearbeitet, wenn ihr Vater, dieser Veranarín, endlich gefasst und verurteilt worden wäre. Dass er ebenso wie Oláran, der Anführer der Rebellen, immer noch auf freiem Fuß war, musste in ihr schwären wie eine eitrige Wunde. Innerhalb kürzester Zeit hatte sie Cesparian trotz dessen langer Ordenszugehörigkeit überflügelt und war eine der Vertrauten von Belgadis geworden. Ständig fühlte sie sich dazu angetrieben, zu beweisen, dass sie nicht so war wie ihr Vater, dass ihre Treue zu den Anführern der Vier Städte und den Herren der Ordnung nicht zu erschüttern war. Anfangs hatte Cesparian versucht, ihr deutlich zu machen, dass bei weitem nicht so viele Mitglieder des Ordens ihr misstrauten, wie sie glaubte, dass sie vor allem sich selbst etwas beweisen wollte. Schließlich nahm er sie so an, wie sie war. Auch diese Schwäche störte ihn nicht mehr. Das war der Moment gewesen, in dem er erkannt hatte, dass er sie liebte.
Der unverkennbare Duft des Sazabirinräucherwerks strich durch Cesparians Gedanken, während sein Sellarat mit Manari an Tiefe gewann. Er hatte sie während ihrer ersten Begegnungen im Tempel der Luft begleitet, in dessen Hallen jenes Harz zu jeder Zeit in den breiten Kohlebecken schmolz. Jetzt, an diesem windumtosten Ort hoch im steinigen Rückgrat einer dem Tod geweihten Welt, roch er den Duft wieder, und er drückte Ranárs Körper stärker an sich.
Die Bilder, die er nun empfing, waren ihm neu, wenn Manari ihm auch davon erzählt hatte, während sie wieder und wieder weite Kreise ziehend zu zweit in Drachengestalt über die Türme von Ascerridhon dahinflogen und ihre Liebe füreinander wuchs.
Er sah, wie seine Geliebte in Belgadis’ Gemächer eingelassen wurde. Der Herr von Ascerridhon, der gleichzeitig auch der mächtigste Mann von Vovinadhár war, stand ihr gegenüber. Er war der älteste Serephin, dem sie je begegnet war. Seine goldenen Augen schimmerten milchig trüb, wie die Augen eines Blinden, aber dennoch war sich Manari sicher, dass ihm nicht die geringste Kleinigkeit an ihr entging. Im Gegensatz zu den anderen Serephin aus dem Kreis der Stürme war die Farbe seiner Robe nicht gelb oder grau, sondern so weiß wie Schnee. In seinen Händen hielt er ein Kästchen aus schwarzem, lackierten Holz, das sich vor dem Hintergrund seines hellen Gewands so deutlich abhob, als ob sich in der Welt vor ihr ein Loch aufgetan hätte. Der Schein der zahllosen Kerzen, die den weitläufigen Raum in ein Meer von Lichterzungen tauchten, spiegelte sich auf der glatten Oberfläche und verlieh dem pechschwarzen Gegenstand ein funkelndes Leben. Langsam, regelrecht ehrfurchtsvoll, öffnete Manari den Deckel.
Im Inneren des Kästchens lag ein durchscheinender, faustgroßer Kristall, gebettet auf dunkelroten Samt. Seine Flächen waren so kunstvoll geschliffen, dass die Lichter im Raum ihn gleißend erstrahlen ließen, als ihr Glanz beim Öffnen des Kästchens auf ihn fiel. Eine kleine Sonne schien auf dem Samt zu ruhen.
Äußerst vorsichtig, ihre Gesichtszüge angespannt und mit angehaltenem Atem hob Manari den beinahe runden Kristall aus seinem Behältnis heraus, das sie neben sich auf Belgadis’ Arbeitstisch stellte. Sie ergriff den funkelnden Stein mit beiden Händen und presste ihn sich an die Stirn. Ihre Augen schlossen sich. Belgadis ließ sich in seinem Sessel am anderen Ende des Tisches nieder und blickte sie erwartungsvoll an.
Nach einer schier endlosen Pause zuckte Manari zusammen und schwankte. Beinahe wäre sie mit immer noch geschlossenen Lidern zu Boden gegangen. Cesparian, der ihre Erinnerungen teilte, hörte eine Stimme, die er kannte, aus dem Kristall herausdringen.
Es war Melars Stimme, die Stimme des Jägers. Er sprach zu ihr, und seine Worte brannten sich wie glühende Brandeisen in ihr Fleisch. Ohne
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