Runlandsaga - Die Schicksalsfestung
verschüttet wie Ahnungen an längst vergessene Träume, bis ein unvermittelter Eindruck von außen sie ihm so deutlich ins Gedächtnis hämmerte, dass ihm Tränen in den Augen standen.
Der Geruch von nassem Tierfell, vermischt mit dem bitteren kupferartigen Geschmack von Blut.
Ein heiseres Hecheln dicht an seinem Ohr, tief und triefend vor Erregung und Schmerz.
Die Anspannung in seinem Körper, alle Muskeln unter seiner Haut auf den geeigneten Moment wartend.
Und schließlich die Vereinigung der beiden Tiere, eine feuerschäumende Welle, die ihre aneinandergepressten Körper ergriff und sie schüttelte. Das Einzige, was noch Bestand hatte, war ein schwarzes Verlangen, das danach gierte, sich zu verströmen und in der Auflösung Ruhe zu finden.
Schließlich schliefen sie völlig entkräftet am Rand des Wäldchens nebeneinander ein, während der kühle Wind in vereinzelten Böen ihr Fell zauste. Noch immer regierte um sie herum die Nacht, und die Morgendämmerung war ebenso weit entfernt wie die Hoffnung auf Rettung. Doch für den Augenblick war dies nicht von Bedeutung. Ihre Übermüdung war ein gnädiger Kerkermeister. Für wenige Stunden hatte sie Enris’ und Nerias Gefängnisse aus Sorgen um ihr weiteres Schicksal aufgeschlossen. In einem tiefen, traumlosen Schlaf fanden die beiden kurzen Frieden.
9
Das Haus des Lukianis blickte direkt auf den Tempel der Erde. Dieser war ein gedrungener, rechteckiger Bau, umgeben von breiten Steinsäulen, die sich schwach zu ihrem oberen Ende hin verjüngten. Das Gebäude war ein beinahe deckungsgleiches Abbild des Erdtempels in Nurdupal. Es stand auf dem Kamm des Nandaronta. Unbehauene Felsen umringten es dicht an dicht, als hätte es sich mit Gewalt aus dem Inneren des Arfestan ans Tageslicht geschoben. Selbst das prachtvolle Haus des Lukianis mit seinen sechs Ecktürmen und dem parkähnlichen Innenhof sah neben jenem wuchtigen Bau unscheinbar aus.
In dieser Nacht erhellten mehr Lichter als gewöhnlich die Längsfassade des Tempels und warfen lange Schatten auf die Wachposten, die zwischen den Säulen ihren Rundgang abhielten. Ihr Schein rührte von den Fenstern des benachbarten Hauses her, in dem Mehanúrs Gründerfamilie ihren Sitz hatte. Trotz der späten Stunde ging es im Heim von Lukianis’ Familie zu wie in einem Bienenstock. Alcarasán, der eben das fünfte und oberste Stockwerk betrat, hatte auf der engen Treppe mehrmals einigen Serephin ausweichen müssen, die an ihm vorbeihasteten. Ihrer Hautfarbe und Kleidung nach zu urteilen gehörten sie nicht nur der Stadt der Erde an, sondern allen vier Städten in Vovinadhár. Seitdem Mehanúrs Belagerung angefangen hatte, war das Heim der Stadtgründer zu dem Ort geworden, an dem die Fäden der Verteidigung zusammenliefen. Einige von Olárans Anhängern wohnten inzwischen sogar ständig hier. So mussten sie nicht täglich von ihrem Zuhause im Tempelbezirk zum Hauptsitz der Bewahrer, wie sie in der Stadt genannt wurden, hinübergehen.
Der Flur, den Alcarasán entlang schritt, war langgezogen und eng, und mit einem dicken Teppich ausgelegt, der jeden seiner Schritte verschluckte. Er folgte ihm beinahe lautlos bis zu seinem Ende. Bevor er seinen Kopf einzog und durch die niedrige Türöffnung trat, blickte er sich schnell noch einmal um. Aber hinter sich sah er nur den langen, leeren Gang.
Der Raum, den er betrat, war nicht besonders geräumig. Das größte Möbel darin bestand aus einem Schreibtisch, der fast die ganze Breite des Raumes einnahm. Jeder freie Platz war mit Papieren und Karten belegt. Da sich das Zimmer direkt unter dem Dach befand, wies es schräge Wände auf. Alcarasán brauchte kaum einen Blick um sich zu werfen, um sich sofort zu erinnern. Hier hatte er vor so unendlich langer Zeit seine Pläne zur Verteidigung der Stadt ausgearbeitet. Hier hatten sich während der Belagerung die Bewahrer getroffen, um sich zu beraten, um Wachposten und gemeinsame Ausfälle festzulegen, vor allem aber, um sich selbst Mut zu machen. Nur hier, innerhalb dieser vier Wände, hatten sie voreinander die Masken ihrer Zuversicht fallen lassen, die sie den anderen Serephin in Mehanúr gegenüber an den Tag legten, und über ihre Verzweiflung gesprochen. Denn ihre Lage war hoffnungslos, und sie alle wussten es. Es war nur eine Frage der Zeit, wann der Verteidigungsring zusammenbrechen würde.
Doch dann hatte Alcarasán einen Plan gefasst, ebenfalls hier, an eben jenem Tisch, an den er nun herantrat und über dessen glatte,
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