Runlandsaga - Feuer im Norden
Gedankenwelt eines anderen eindringen wollte. Das war der Preis, den man dafür zahlte, den Fluss der vielen Stimmen um einen herum zu vernehmen. Es kam nur darauf an, diese Stelle zu finden. Aber es verlangte nach großem Können, die Gedanken eines Ordensmitglieds zu erforschen. Schon die Nevcerran waren darin ausgebildet, ihren Verstand gegen Eindringlinge abzuschotten, wenn dies nötig war. Alcarasán bezweifelte, dass sie in der kurzen Zeit vor ihrer Abreise noch auf jemanden treffen könnten, der dazu in der Lage sein würde, in ihre Geheimnisse einzudringen. Sollte Jahanila sich ruhig für unantastbar halten. Ihn beschäftigten andere Dinge, als sie zu berichtigen. Zwei einschneidende Ereignisse waren zur selben Zeit eingetreten – die Entdeckung des Brutstocks der Maugrim und das Auffinden der verborgenen Welt der Temari.
Die jüngeren Rassen mochten an Zufälle glauben, er wusste es besser. Es musste eine Verbindung zwischen diesen beiden Ereignissen geben. Was hielt Terovirin vor ihnen verborgen?
Dort vorne muss es sein!, rief er seiner Begleiterin in Gedanken zu.
Sofort wandte sie ihren Kopf in die Richtung, die er ihr als inneres Bild gesandt hatte. Zunächst sah sie nichts weiter als einen kreisrunden Platz inmitten der vielen Totenhäuser, in dessen Mitte ein Denkmal von Esras, dem Feuerdrachen und Beschützer von Gotharnar, stand. Doch dann fiel ihr das Gebäude dahinter auf, dessen kupferfarbene Eingangstür von zwei riesigen Sazabirinbäumen überragt wurde. Die goldene Kuppel der Gruft schimmerte feurig im Licht des neuen Tages, das dem Vortex unterhalb der fliegenden Stadt entströmte.
»Das ist das Totenhaus, von dem Terovirin gesprochen hat«, sagte Alcarasán. »Darin befindet sich das Lager des Kreises der Stürme.«
Langsam bewegten sie sich auf das Gebäude zu. Sie hatten es vorgezogen, auf dem letzten Stück des Weges nicht zu fliegen. Sie wollten ungesehen bleiben und schnell in den Schatten eines Gebäudes treten können, falls sie auf andere Serephin treffen sollten. Wenn die Bewohner von Vovinadhár auch in der Lage waren, ihre Gestalt zu wechseln, so war dennoch das völlige Verschmelzen mit der Umgebung, das Unsichtbarwerden, bei weitem schwieriger. Nur die Begabtesten unter den Serephin vermochten auf diese Kunst zurückzugreifen.
Doch die Vorsicht der beiden erwies sich als unnötig. Das neue Licht war noch jung, und nur wenige waren auf den Straßen oder in den Lüften unterwegs. Dies galt um so mehr für die Totenstadt. Wenn nicht gerade der Körper eines Verstorbenen in das Haus seiner Familie gebracht wurde, dann war die Ruhe dieses Ortes für gewöhnlich ungestört. Die Serephin ließen ihre Toten zwar in aufwändigem Prunk ruhen, doch sie suchten die Grüfte selten und nur zu besonderen Anlässen auf.
Trotzdem sah sich Alcarasán kurz um, bevor er das umzäunende Gittertor aufstieß, das auf den Vorplatz des Totenhauses führte. Schnell ging er hindurch und über den schmalen Weg aus grauen Kieselsteinen auf die Eingangstür zu. Seine Begleiterin folgte ihm. Die knirschenden Schritte der beiden hallten eigenartig laut in der Stille des Ortes wider. Für einen Augenblick fühlte sich Jahanila wie im Inneren einer riesigen, unsichtbaren Trommel, die das ganze Haus umspannte und jedes Geräusch in ihrem Inneren um ein Vielfaches verstärkte. Dann hatten sie den Eingang erreicht. Alcarasán drückte die Klinke der metallenen Tür nieder. Leicht und geräuschlos schwang sie auf.
Er drehte sich zu Jahanila um. Die Schuppen seiner Schlangenhaut hatten im rostroten Licht der beiden Sazabirinbäume zu beiden Seiten der Tür einen dunkleren Ton angenommen.
»Es sieht so aus, als ob dieser Eingang regelmäßig benutzt wird.«
Sie verzog ihr Gesicht. Ihre gelben Augen funkelten. »Der Kreis der Stürme hatte schon immer einen ziemlich eigenartigen Geschmack«, sagte sie. »Eine fremde Gruft als geheimes Lager zu benutzen, das passt zu ihnen. Und dann ausgerechnet diese !«
»Es schmeckt mir genauso wenig wie dir, mit ihnen zusammenzuarbeiten, Jahanila. Aber wir beide werden uns das nicht anmerken lassen. Der Orden legt großen Wert darauf, dass der Plan reibungslos vonstatten geht. Du wirst dich also unauffällig verhalten und keinen Streit anfangen, verstanden?«
Jahanila nickte ungeduldig. »Ich habe dich gehört. Du musst dir keine Sorgen machen. Ich weiß mich zu benehmen, wenn es notwendig ist.«
Ohne etwas zu erwidern, drehte sich Alcarasán um und trat durch die
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