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Rushdie, Salman

Rushdie, Salman

Titel: Rushdie, Salman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luka und das Lebensfeuer
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fragte Luka. «Ach», erwiderte der Elefantenerpel, «kein
Strudelfisch würde es wagen, sich mit uns anzulegen. Das wäre gegen die
natürliche Ordnung der Dinge. Weißt du, die gibt es nämlich, die natürliche
Ordnung der Dinge.» Seine Gefährtin kicherte. «Soll heißen», erklärte sie,
«dass wir Strudelfische zum Frühstück verspeisen.» - «Wie auch zum Mittag- und
Abendessen», sagte der Elefantenerpel. «Deshalb machen sie um uns einen weiten
Bogen. Doch wohin wolltet ihr nochmal? Nein, nein, nichts sagen! Ja, jetzt weiß
ich es wieder.»
     
    Die
Insultana von Ott
     
    Die Nebel
der Zeit verdichteten sich, als die Argo am rechten
Flussufer ein befremdlich trübseliges Land passierte. Hohe Stacheldrahtzäune
verwehrten Flussreisenden den Zutritt, und während Lukas Blick über eine
furchterregende Grenzstation mit Scheinwerfern an hohen Pfosten und mächtigen
Erkundungstürmen schweifte, in denen Wachleute mit verspiegelten
Sonnenbrillen, militärischen Präzisionsferngläsern und automatischen Waffen
ihren Dienst versahen, fiel ihm ein großes Schild mit folgendem Hinweis auf: Dies ist
die Grenze zum Ich-Respektorat. Benehmt euch! «Was ist
das denn für eine Gegend?», fragte er Nobodaddy. «Kommt mir nicht besonders magisch
vor.»
    Nobodaddys
Miene zeigte eine vertraute Mischung aus Amüsement und Verachtung. «Ich muss
leider gestehen», sagte er, «dass die Welt der Magie nicht gegen Seuchen und
Plagen immun ist. Diese Gegend hier wurde vor einiger Zeit von Ratten
überrannt.»
    «Ratten?»,
schrie Luka entsetzt auf und begriff im selben Moment, was mit den Wachposten
und Grenzsoldaten nicht stimmte. Das waren überhaupt keine Menschen, sondern
riesige Nagetiere! Hund der Bär knurrte wütend, und Bär der Hund, eigentlich
eine herzensgute Seele, wirkte ziemlich verstört. «Fahren wir weiter», schlug
er leise vor, doch Luka schüttelte den Kopf. «Ich weiß ja nicht, wie es euch
geht», sagte er. «Aber Ratten hin oder her, ich habe Hunger. Wir müssen an
Land, weil wir alle was zu essen brauchen. Naja, alle bis auf einen», sagte er
leise zu Nobodaddy, der auf Raschid Khalifas vertraute Weise mit den Achseln
zuckte, Raschid Khalifas vertrautes Lächeln lächelte und sagte: «Nun gut, wenn
wir müssen, dann müssen wir wohl. Ist schon eine Weile her, seit ich an der
Impertigrenze war.» Er bemerkte Lukas Stirnrunzeln und erklärte: «Hier an
diesem Stacheldrahtverhau. Die Impertigrenze zieht sich rund um das Respektorat
des Ichs. Sie verleiht dieser Gegend erst ihre Eigenheit, gleichsam ihre
Ichheit. Und das Schild hier warnt davor, dass die meisten Bewohner des
Respektorats auf jede Impertinenz ziemlich bissig reagieren.»
    «Wir haben
ja gar nicht vor, uns danebenzubenehmen», sagte Luka. «Wir wollen bloß zu
Mittag essen.»
    Die vier
Reisenden betraten die Grenzstation und ließen ihre Argo in der
Obhut von Elefantenerpel und Elefantenente zurück, die sich die Zeit damit
vertrieben, nach Strudelfischen und anderen Leckerbissen zu tauchen. Am
Schalter der Station stand eine große graue Grenzratte in Uniform hinter einer
versperrten Gittertür. «Papiere», wurden sie mit quiekiger Rattenstimme
angeherrscht. «Wir haben keine Papiere», gab Luka ehrlich zur Antwort. Auf der
Stelle gab der Rattenmann infernalische Quiek- und Pfeiftöne von sich.
«Absurd!», gellte er schließlich. «Jeder Mensch hat irgendwelche Papiere.
Stülpt eure Taschen um.» Und so leerte Luka seine Taschen aus und fand in dem
üblichen Durcheinander von Murmeln, Gummibändern und Spielsteinen einige
Tauschkarten, drei noch eingewickelte Bonbons und zwei kleine,
zusammengeknüllte Papierflugzeuge. «So was Unverschämtes habe ich ja noch nie
erlebt», zeterte die Grenzratte. «Erst behauptet er, er hat keine Papiere. Dann
stellt sich raus, er hat doch welche. Du kannst von Glück reden, dass ich einer
von der nachsichtigen Sorte bin. Gib mir deine Papiere und sei froh, dass ich
so gute Laune habe.» Nobodaddy stupste Luka an, der mit Bedauern der Ratte die
Tauschkarten, Flugzeuge sowie die orangeroten, in durchsichtiges Zellophan
gewickelten Bonbons aushändigte. «Ist das genug?», fragte er. «Nur weil ich
heute gnädig gesinnt bin», erwiderte die Grenzratte und steckte die Papiere
sorgsam weg. Dann wurde das Gitter aufgeschlossen, und die Reisenden durften
auf die andere Seite. «Noch eine Warnung mit auf den Weg», sagte die Ratte.
«Hier im Respektorat erwarten wir von den Besuchern, dass sie sich

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