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Rushdie, Salman

Rushdie, Salman

Titel: Rushdie, Salman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luka und das Lebensfeuer
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quiekten die Ratten und reckten die grässlichen Klauen.
Vielleicht hätte die Geschichte von Luka Khalifas Suche nach dem Lebensfeuer
hier und jetzt in Alices Restau-Rat ihr Ende
gefunden. Vielleicht wären selbst Hund der Bär und Bär der Hund verloren
gewesen, auch wenn sie sich gewiss nicht kampflos ergeben und viele Ratten mit
in den Tod gerissen hätten. Und vielleicht wäre Nobodaddy daraufhin nach Kahani
zurückgekehrt, um dort zu warten, bis ihn Raschid Khalifas Leben gänzlich
ausfüllte ... Wie traurig wäre das doch gewesen! Stattdessen aber ertönte
draußen auf der Straße plötzlich ein lauter Schrei, und es regnete riesige
Mengen roten Glibbers vom Himmel sowie etwas, das wie gigantische Portionen Eigelb
aussah, gefolgt von einem Hagelschauer verfaulten Gemüses, und sämtliche
Ratten vergaßen Luka und dessen Ausruf «Unsinn!» in null Komma nichts, stürzten
hinaus vors Haus und schrien: «Die Otter!», oder noch simpler: «Die schon wieder!»,
denn das Respektorat des Ichs wurde aus der Luft angegriffen, und den Angriff
der Fliegerstaffel, die von oben und unten, von links und rechts heranschoss,
führte furchtlos und aufrecht stehend auf ihrem berühmten fliegenden Teppich Resham, will
heißen, auf dem grünen fliegenden Seidenteppich von König Salomon dem Weisen,
die berühmt-berüchtigte, die grandiose und erbarmungslose Insultana von Ott,
die in ein mächtiges Megafon ihren Schlachtruf stieß, der das Blut in den
Adern gefrieren ließ: «Wir expektorieren aufs
Respektorat!»
    «Was ist
los?», rief Luka im anschwellenden Getöse zu Nobodaddy hinüber, während die
vier Gefährten aus dem Restau-Rat flohen - natürlich nur für den Fall, dass die
Ratten, die sie beleidigt hatten, zurückkommen und ihnen den Garaus machen
wollten. Auf der Straße herrschte kolossales Chaos und katastrophale
Konfusion, da es immer noch roten Glibber, Eigelb und Gemüse regnete. Also
suchten sie Zuflucht unter der Markise einer nahen Bäckerei, in deren
Schaufenster nichts als altbackenes Brot und unappetitlich aussehendes, mit
grauem Zuckerguss verziertes Gebäck lagen. «In dieser Richtung», schrie
Nobodaddy und zeigte auf eine schneebedeckte Gebirgskette am nördlichen
Horizont, «liegt jenseits der Berggipfel das außergewöhnliche Land Oh-Te-Te,
kurz Ott genannt, umringt von funkelnden Gewässern; und seine Bürger, die
Otter, sind begeisterte Anhänger der Übertreibung in all ihren Varianten. Sie
reden zu viel, essen zu viel, trinken zu viel, schlafen zu viel, schwimmen zu
viel, kauen zu viel Betelnuss und sind fraglos die unhöflichsten Geschöpfe
dieser Welt. Allerdings kennt ihre Unhöflichkeit offenbar keine Unterschiede,
denn die Otter fallen wahllos übereinander her, weshalb sie sich auch ein so
dickes Fell zugelegt haben, dass es niemanden kümmert, was der andere über ihn
sagt. Außerdem ist es eine ziemlich lustige Gegend, alle lachen immerzu,
während sie sich die schlimmsten Dinge an den Kopf werfen. Die Lady da oben auf
dem Teppich ist übrigens die Suitana, ihre Königin, und da keine insultiert wie
sie und sie das einfallsreichste, scharfzüngigste Schandmaul hat, nennt man sie
die Insultana. Sie kam auch auf die Idee, den Kampf mit dem Respektorat zu
wagen, da sie nichts und niemanden respektiert. Man könnte Ott also das Reich
der Respektlosigkeit nennen, gleichsam ein Disrespektorat, denn keiner ist besser im Dissen, aber ... Jetzt seht euch das an!»,
unterbrach er sich voller Bewunderung. «Ist sie nicht wunderschön, wenn sie
wütend ist?»
    Luka
schaute durch den Hagel von Glibber, Eiern und Gemüse nach oben. Die Königin
der Otter war kein Tier, sondern ein grünäugiges, kaum sechzehn oder siebzehn
Jahre altes Mädchen mit grüngoldenem Mantel; und ihr feuerrotes Haar flatterte
im Wind. «Sie ist so jung», entfuhr es Luka verblüfft. Nobodaddy grinste
Raschid Khalifas Grinsen. «Junge Leute können besser austeilen und einstecken
als die alten», sagte er. «Sie können vergeben und vergessen. Leute in meinem
Alter hingegen ... tja, wir sind manchmal schon ziemlich nachtragend.» Luka runzelte
die Stirn. «In Ihrem Alter?», sagte er. «Aber ich dachte...»
Nobodaddy wirkte bestürzt. «Im Alter deines Vaters, meinte ich. Sicher, in
seinem Alter. Nur ein Versprecher.» Aber der machte Luka ziemlich zu schaffen.
Ihm fiel auf, dass Nobodaddy kaum noch durchsichtig war. Luka hatte offenbar
weniger Zeit als vermutet.
    «Wir
expektorieren aufs Respektorat!», rief die Insultana aufs

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