Rushdie Salman
Männer aus, trugen kurze Jacken - eine rotgoldene
für Qara Köz, eine grünweiße für Spiegel-, wollene Reithosen, Stiefel aus Sämischleder und ei-nen Gürtel um die
Hüfte. Das Haar hatten sie sich kurz geschnitten und unter eng ansitzenden Scheitelkäppchen verborgen. Marietta schnappte nach Luft, als sie ihre Beine in engen Hosen
sah, sagte aber nichts. «Wollt Ihr nicht ein wenig essen,
ehe Ihr weiterreist?», fragte sie, doch sie wollten nicht.
Man dankte ihr für den Beutel mit Brot, Käse und kaltem
Fleisch, den sie vorbereitet hatte. Dann gingen sie alle
nach draußen, wo Il Machia und Ago warteten. Ago
hockte immer noch auf seinem Karren. Die Fässer waren
abgeladen worden, doch standen die beiden Truhen mit
der Habe der Damen noch auf der Ladefläche sowie eine
Tasche mit Agos Kleidern und allem Geld, das er hatte
auftreiben können, darunter auch einige Zahlungsanweisungen über größere Summen. «Wenn wir erst in Genua
sind, kann ich noch mehr besorgen», sagte er. «Ich habe
einige Wechsel dabei.» Er schaute Qara Köz in die Augen. «Ihr Damen könnt schließlich nicht allein reisen»,
sagte er. Mit großen Augen schaute sie ihn daraufhin an.
«Aha», erwiderte sie, «als Ihr um Hilfe gebeten wurdet
und gesehen habt, in welch prekärer Lage wir uns befanden, wart Ihr also auf der Stelle bereit, Euer Haus, Eure
Arbeit und Euer Leben hinter Euch zu lassen, um mit uns
in eine unbekannte Zukunft zu fliehen, mit einer Gefahr
hinter Euch und womöglich vielen neuen Gefahren vor
Euch?» Ago Vespucci nickte. «Ja, das war ich.» Sie ging
zu ihm und ergriff seine Hände. «Dann, mein Herr», sagte sie, «gehören wir jetzt zu Euch.»
Il Machia sagte seinem alten Gefährten Lebewohl. «Am
An-fang waren drei Freunde», erklärte er, «Antonino
Argalia, Niccola Il Machia und Ago Vespucci. Zwei der
drei reisten gern, der dritte blieb lieber daheim. Und von
den zwei Reisenden ist nun einer auf immer davon gegangen, der andere aber wird nie mehr fortgehen. Mein
Horizont ist geschrumpft, ich kann nur noch Enden
schreiben. Doch du, geliebter Ago, du, der Sesshafte, du
brichst auf, um eine neue Welt zu suchen.» Dann streckte
er den Arm aus und drückte Ago drei soldi in die Hand.
«Die schulde ich dir noch», sagte er. Als einige Minuten
später zwei Reiter und der Mann auf dem Karren um eine
Wegbiegung verschwanden, küsste die frühe Morgensonne Ago Vespuccis Haar, das schon so schütter war, so
weiß. Doch im gelben Licht der Frühe schien es, als habe
er wieder das goldene Haar seiner Jugend, in der er mit n
Machia im Eichenhain von Caffagio auf Jagd gegangen
war, im Gehölz der vallata von Santa Maria dell’Impruneta, aber auch in dem etwas weiter entfernt gelegenen
Wald bei der Burg Bibione, damals, als sie gehofft hatten, eine Alraune zu finden.
19. Er sei ein Nachfahre Adams, nicht Mohammeds…
Er sei ein Nachfahre Adams, nicht Mohammeds und
nicht des Kalifen, sagte Abul Fazl; Legitimität und Autorität ergäben sich aus seiner Abstammung vom ersten
Menschen, ih-rer aller Vater. Kein Glaube sei ihm genug,
auch kein geographisches Gebiet. Größer als der König
der Könige, der über Persien herrschte, ehe die Muslime
kamen, überlegen der alten Hinduvorstellung von Chakravartin - jenem König, dessen Streitwagen überallhin zu
rollen vermochte, dessen Bewegungen durch nichts behindert wurden -, sei er der Herrscher des Universums,
König einer Welt ohne Grenzen oder ideologische Beschränkungen. Woraus folgerte, dass die menschliche
Natur und nicht der göttliche Wille die treibende Kraft
der Geschichte sei. Er, Akbar, sei der vollkommene
Mensch, die Antriebskraft der Zeit.
Die Sonne war noch nicht aufgegangen, aber der Herrscher bereits auf den Beinen. Das im Schatten liegende
Sikri schien die großen Mysterien des Lebens darzustellen. Ihm kam die Stadt wie eine flüchtige Welt voller
Fragen vor, auf die er eine Antwort finden musste. Dies
war die der Meditation vorbehaltene Stunde des Tages.
Er betete nicht. Hin und wieder ging er in die große Moschee, die er rund um Chishtis Schrein hatte errichten
lassen, um den Schein zu wahren und das Gerede spitzer
Zungen verstummen zu lassen. Badaunis Zunge. Die
Zunge des Kronprinzen, der noch weniger an Gott glaubte als sein Vater, sich aber ihm zum Trotz mit den
Frömmlern verbündete. Meist jedoch nutzte der Herrscher diese frühe Stunde, ehe die Sonne die Steine Sikris
und die Gemüter ihrer Bewohner
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