Rushdie Salman
war wichtig, an
anderer Stelle zu beginnen. «Euer Majestät», sagte er
daher, «Herrscher über alle Herrscher, Schutzschirm der
Welt. Ich habe die Ehre, Euch davon in Kenntnis zu setzen, dass ich … » Die Worte erstarben ihm auf den Lippen, und er stand vor dem Regenten wie ein Mann, den
die Götter mit Stummheit geschlagen haben. Akbar zürnte. «Hört nicht auf, Mann», sagte er. «Spuckt endlich die
verdammte Geschichte aus, werdet sie ein für alle Mal
los.» Der Fremde hüstelte und hub erneut an.
«Dass ich, mein Herrscher, niemand anders bin als … »
«Als was?»
«Mein Herrscher, ich bringe es nicht über die Lippen.»
«Aber Ihr müsst.»
«Nun gut - doch fürchte ich Eure Reaktion.» «Nichtsdestotrotz.»
«Dann, mein Herrscher, erfahrt nun, dass ich … » «Ja?»
(Ein tiefer Atemzug, dann der Sprung ins kalte Wasser.,
«Euer Blutsverwandter bin. Genau genommen bin ich
Euer Onkel.»
8. Wenn für die Männer am Hof der Moguln …
Wenn für die Männer am Hofe der Moguln das Leben zu
unverständlich wurde, suchten sie Antwort bei den alten
Frauen. Kaum hatte «Niccolo Vespucci», der sich «Mogor dell’Amore» nannte, seinen bemerkenswerten Verwandtschaftsanspruch erhoben, schickte der Herrscher
Boten in die Frauengemächer, zu seiner Mutter Hamida
Bano und zu seiner Tante Gulbadan Begum. «Soweit wir
wissen», sagte er zu Birbal, «haben wir keinen Onkel
ungeklärter Herkunft, außerdem ist der fragliche Anwärter auf diesen Titel zehn Jahre jünger als wir, gelbhaarig
und ohne jedes wahrnehmbare Tschagatai - doch ehe wir
den nächsten Schritt unternehmen, sollten wir die Frauen
fragen, die Bewahrer der Geschichten, die uns gewiss
Näheres mitteilen können.» Akbar zog sich mit seinem
Minister in eine Ecke des Raumes zurück, versank in ein
angeregtes Gespräch und ignorierte den potentiellen
Hochstapler so gründlich, dass dieser anfing, sich zu fragen, ob er eigentlich noch existierte. War er tatsächlich
hier, in der Gegenwart des Großen Moguls, und behauptete, mit ihm blutsverwandt zu sein? Oder war dies nur
eine Opiumhalluzination, aus der er lieber bald erwachen
sollte? War er einem elefantösen Tod entronnen, nur um
wenige Augenblicke später Selbstmord zu begehen?
Birbal sagte zu Akbar: «Vom Krieger Argalia oder Arcalia, den der Kerl nannte, habe ich noch nie gehört, und
Angelica ist ein Vorname bei fremden Völkern, nicht bei
uns. Allerdings wurden wir bislang auch noch nicht darüber in Kenntnis gesetzt, welche Rolle die beiden in der
großen Geschichte spielen, dem goldenen Märchen. Aber
lasst uns diese Leute nicht allein auf Grund ihrer Namen
abtun, wissen wir doch, dass sich ein Name ändern
kann.» Raja Birbal hatte sein Leben als armer Brahmanenjunge namens Mahesh Das begonnen, und Akbar war
es gewesen, der ihn an den Hof gebracht und in den
Adelsstand erhoben hatte. Während die beiden Freunde
auf die eminenten Damen warteten, schwelgten sie in
Erinnerungen und waren wieder jung. Akbar hatte sich
auf der Jagd verirrt. «He da, kleiner Mann! Welcher Weg
führt nach Agra?», rief der Herrscher, und Birbal, wieder
sechs, sieben Jahre alt, erwiderte mit ernster Miene:
«Keiner der Wege führt irgendwohin.» - «Das ist unmöglich», schalt ihn Akbar, und der kleine Birbal grinste.
«Wege führen nicht, sie führen nie», sagte er, «aber Reisende nach Agra schlagen gewöhnlich jenen Weg dort
ein.» Dieser Scherz hatte den Jungen einst an den Hof
gebracht und ihm einen neuen Namen, ein neues Leben
geschenkt.
«Ein Onkel?», sagte Akbar nachdenklich. «Ein Bruder
meines Vaters? Meiner Mutter? Der Mann unserer Tante?» - «Oder», ergänzte Birbal im Interesse der Vollständigkeit, «auch wenn es weit hergeholt klingen mag: der
Sohn eines Nachfahren Eures Großvaters.» Der Fremde
spürte unter ihrem scheinbaren Ernst eine gewisse Belustigung aufblitzen und begriff, dass man mit ihm spielte.
Das Reich hielt alle Trümpfe in der Hand, während es
über sein Schicksal entschied. Es sah nicht gut für ihn
aus!
Kreuz und quer durch das ausgedehnte Gelände der herrschaftlichen Residenz verliefen mit Tüchern verhängte
Korridore, auf denen sich die Damen des Hofes, vor ungehörigen Blicken geschützt, von einem Gebäude zum
anderen begeben konnten. Durch einen dieser Korridore
glitten die Königinnenmutter Hamida Bano und ihre
oberste Palastdame Prinzessin Gulbadan wie zwei mächtige Fregatten durch einen viel zu schmalen Kanal;
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