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Rushdie Salman

Rushdie Salman

Titel: Rushdie Salman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die bezaubernde Florentinerin
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Augen ans Dämmerlicht gewöhnten, sahen sie vor sich eine stolze Odaliske in engem Mieder, weiten Hosen, die Taille entblößt,
die Hände vor der Brust gefaltet. «Blöde Kuh», sagte
Giulietta Veronese, «vielleicht glaubt sie, immer noch im
Harem zu sein, und kann sich mit den Tatsachen nicht
abfinden.» Sie trat dicht an die Odaliske heran, die beinahe doppelt so groß war wie sie selbst, und rief ihr von
der Höhe ihres Bauchnabels zu: «Du bist von Piraten
gefangen genommen worden! Von Piraten! Schon vor
zwei Wochen - il Y a dija deux semaines -, und du wurdest auf einem Sklavenmarkt in Venedig verkauft! Un
marche aux esclaves! Verstehst du? Begreifst du, was ich
dir sage? Est-ce que tu comprends ce que je te dis?» Sie
wandte sich wieder an Ago und Il Machia. «Ihr Besitzer
will sie uns verkaufen, wenn sie uns gefallt, aber wir haben uns noch nicht entschieden. Sie sieht verdammt gut
aus, Brüste, Hintern, alles bestens» - lüstern befummelte
die Zwergin die regungslose Frau -, «aber sie ist ein verdammt komischer Vogel.»
    «Wie heißt sie?», fragte Ago. «Warum redet Ihr sie auf
Französisch an? Und warum sieht sie aus, als wäre sie in
Stein verwandelt?»
    «Wir haben eine Geschichte über eine französische Prinzessin gehört, die von Türken gefangen genommen wurde», erzählte Giulietta Veronese, während sie wie ein
Raubtier um die stumme Frau schlich. «Erst hielten wir
sie bloß für ein Märchen. Nun, vielleicht ist dies hier die
Prinzessin, vielleicht auch nicht. Jedenfalls spricht sie
Französisch, so viel steht fest. Allerdings verrät sie uns
keinen richtigen Namen. Fragt man sie, wie sie heißt,
sagt sie: Ich bin der Gedächtnispalast. Fragt sie selbst.
Nur zu. Warum nicht? Habt Ihr etwa Angst?»
«Qui etes-vous, mademoiselle?», fragte Il Machia mit
seiner sanftesten Stimme, und die Steinfrau erwiderte:
«Je suis le palais des souvenirs. »
«Seht Ihr?», krähte Giulietta triumphierend. «Als wäre
sie kein Mensch, sondern eine Art Ort.»
«Was hat sie mit Argalia zu tun?», wollte Ago wissen.
Die Odaliske regte sich, als ob sie zu sprechen ansetzen
wollte, verfiel dann aber wieder in Reglosigkeit.
«Damit verhält es sich folgendermaßen», sagte Giulietta
Veronese. «Als sie gebracht wurde, gab sie keinen Ton
von sich. Ein Palast mit verschlossenen Türen und Fenstern, das war sie. Dann fragte meine Herrin: wo Ihr seid?> Ich habe es natürlich auf Französisch wiederholt: , und als meine
Herrin ergänzte: , war es,
als hätte sie einen Schlüssel umgedreht. Raum in diesem Palast mit dem Namen Florenz>, sagte
sie und machte so kleine, unverständliche Bewegungen
wie ein Mensch, der geht, ohne einen Fuß vor den anderen zu setzen, so als liefe sie in ihrem Kopf irgendwohin.
Und dann sagte sie jene Worte, die meine Herrin veranlassten, Euch zu ihr zu bringen.»
«Aber was hat sie denn gesagt?», wollte Ago wissen.
«Hört selbst», erwiderte Giulietta Veronese. Daraufhin
drehte sie sich zur verschleierten Frau um und sagte:
«QuJest-ce que tu connais de Florence? Qu’est-ce que se
trouve dans cette chambre du palais?» Sogleich begann
das Sklavenmädchen, sich zu bewegen, als eilte sie über
Flure, böge um Ecken und käme an Türen vorbei, ohne
sich jedoch vom Fleck zu rühren. Endlich hob sie zu reden an: «Am Anfang», sagte sie in makellosem Italienisch, «waren drei Freunde: Niccolo <11 Machia>, Agostino Vespucci und Antonio Argalia. Die Welt ihrer Kindheit war ein Zauberwald.»
    Ago begann zu zittern. «Woher weiß sie das? Wie kann
sie nur davon gehört haben?», fragte er verblüfft, doch Il
Machia erriet die Antwort. Teilweise hatte die Lösung
des Rätsels etwas mit den Büchern zu tun, die in der
kleinen, hochgeschätzten Bibliothek seines Vaters standen. (Bernardo war kein reicher Mann, und Bücher waren nur schwer zu bekommen, weshalb die Entscheidung,
ein Werk zu kaufen, nie leichtfertig getroffen wurde.,
Neben Niccolos Lieblingsbuch Ab Urbe Condita von
Titus Livius stand Ciceros De Oratore und daneben wiederum ein Band mit dem Titel Rhetorica ad Herennium,
ein schmales Buch von einem anonymen Autor. «Laut
Cicero», erinnerte sich Niccolo, «wurde diese Technik
von einem Griechen namens Simonides von Ceos entwickelt, der gerade ein Abendessen mit wichtigen Leuten
verlassen hatte, als hinter ihm das Dach einstürzte und
sämtliche Gäste

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