Russen kommen
nicht gemeldet hat.
Karla zupft mich am Ärmel. »Wir sollten pünktlich sein, sonst glaubt dein Manninger womöglich, die Reservierung war nur ein Scherz.«
Das » MO « liegt in einer Seitenstraße der Twerskaja. Der Eingang umgeben von schwarzem geschliffenem glänzendem Marmor. Glasfront bis zum Boden, man sieht Menschen an weiß gedeckten Tischen sitzen, als ob sie Teil einer besonders gelungenen Auslagendekoration wären. Das Lokal ist integriert in einen schmucklosen Bau, der wohl aus den Sechziger- oder Siebzigerjahren stammt. Aber der Rest des Hauses fällt nicht auf, verschwindet hinter der edel gestylten Fassade des Lokals. Neben dem Eingang nicht größer als eine übliche Hausnummerntafel: » MO «. Gold auf schwarzem Grund. Ich bin mir sicher, es handelt sich um echtes Gold.
Wir werden von einem eleganten Kellner in schwarzer Hose und ebensolchem Gilet über dem blütenweißen Hemd zu unserem Tisch geleitet. Schwarzer Marmorboden, die Decke aus geschliffenen Spiegelkacheln, sie spiegeln und verzerren und vervielfältigen, je nach Blickwinkel. Quadratische Tische, weiß gedeckt. Schwarze, schmale Lederstühle mit hoher Lehne. Wir bekommen einen Tisch in der Ecke zugewiesen, perfekte Sicht auf das ganze Lokal und auch nach draußen, ohne mitten in der Auslage zu sitzen. Bis auf einen sind alle anderen Tische besetzt. Man bringt uns ein Blatt Papier, dickes geschöpftes Papier, darauf ist die Speisenliste von Hand in Gold geschrieben. Jetzt erst nehme ich die Musik wahr, Mozart, ich bin mir sicher.
Karla und ich sehen einander an. »Eindrucksvoll«, sagt Karla. »Auch die Preise.«
Die Karte ist in Russisch und Englisch. Für die Vorspeise »Kartoffel mit Ziegenbutter und Apfelminze« nehmen sie zweitausend Rubel, das sind rund siebzig Euro, rechne ich. Für den mit Zitronenverbena marinierten Butterfisch dreitausend Rubel. Ich hoffe nur, Manninger ist da und erinnert sich an sein Versprechen, dass ich nicht zu zahlen brauche. Hochinteressant. Er bietet eine pikante Rote-Rüben-Suppe mit Stör an, eine mit Jakobsmuscheln habe ich vor gar nicht so langer Zeit für Oskar gemacht und geglaubt, ich hätte etwas erfunden.
Ich habe Manninger gar nicht kommen sehen. Er sieht aus wie daheim im Weinviertel, Jeans anstelle einer klassischen Kochhose, eine weit geschnittene Kochjacke, heute in Knallrot, kein Kochhut. Er beugt sich zu mir, will mich küssen, ich springe auf, wir knallen mit den Nasen gegeneinander, lachen, küssen uns auf die Wangen, und plötzlich merke ich, dass wir von allen rundum interessiert beobachtet werden. Jetzt sei gerade der größte Stress in der Küche, er müsse gleich zurück, sagt Manninger, er werde uns einfach ein Menü machen, die Karte sei ja nicht gerade groß, einmal alles durch.
»Dafür muss ich ein Jahr bei dir arbeiten«, erwidere ich.
»Wunderbar«, sagt Manninger, »angenommen! – Ihr seid natürlich eingeladen. In einer Stunde oder so habe ich mehr Zeit, dann reden wir.« Und fort ist Manninger, er wirkt glücklich und voller Elan, aber wer wäre das nicht, wenn er hier kochen dürfte? Hoffentlich zeigt er mir später die Küche.
Alles beginnt mit Wodka und dem besten Butterfisch, den ich je gegessen habe. Der da hat nichts mit den gelblichen Dingern auf gewissen Sushi zu tun, er ist cremeweiß und duftet zart nach Zitronenverbena. Dazu eine knallgrüne Sauce, ich koste sie: köstliche salzig-süße Fischmayonnaise, aber wo bitte kommt diese Farbe her?
Karla dreht entzückt die Augen nach oben. Ich weiß ja inzwischen, dass sie gerne isst, ich frage mich bloß, wo sie das alles hinfuttert, klein und zart, wie sie ist.
Danach Kartoffel mit Ziegenbutter und Apfelminze. Ein Gedicht. Da kann das, was ich in Wien fabriziert habe, nicht mithalten. Allein diese ganz frisch gekochte, gelb-schmelzende Kartoffel. Dazu wird uns Sekt von der Krim kredenzt. Karla sieht den Ober etwas misstrauisch an.
»Der ist üblicherweise scheußlich«, sagt sie leise auf Deutsch zu mir. Dieser hier ist nicht scheußlich, er kann sich mit vielen Champagnersorten messen. Es wird eine Orgie, als Nächstes folgt die Rote-Rüben-Suppe mit Stör. Karla ist davon besonders begeistert, mich freut, dass meine in Wien zwar etwas anders, aber auch nicht schlechter war.
Hühneraustern sind die kleinen, zarten Hühnerteile beim Beckenknochen. In Frankreich nennt man sie »Le Sot-l’y-laisse« – »Der Dumme lässt sie liegen«. Die austerngroßen Stücke gelten als das Beste am Huhn. Jetzt kann
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