Russen kommen
Ich weiß nicht, wie ich Ihnen beweisen kann, dass ich es gut meine und dass ich tatsächlich die bin, für die ich mich ausgebe. Meine Storys über den Fall können Sie jedenfalls unter www.magazin.at nachlesen. Als attachment schicke ich ein Foto von mir vor dem Panorama Moskaus, in der Hand halte ich eine Zeitung von heute, nur damit klar ist, dass niemand meinen Namen und irgendein Bild von mir missbrauchen konnte, um mit Ihnen in Kontakt zu kommen. Ich muss bereits übermorgen wieder abreisen, bitte melden Sie sich umgehend. Ihre Mira Valensky.
Ich lese den Text noch einmal und füge nach dem letzten Satz an: Es könnte eine Chance für Sie sein. Mies, Sonja noch mehr unter Druck zu setzen, aber ich muss sie sehen. Und sehr viele Chancen scheint sie tatsächlich nicht zu haben. Auf Dauer kann sich niemand verstecken, nicht einmal in Moskau. Dann mache ich mit dem Selbstauslöser ein Bild von mir mit einer heutigen Tageszeitung vor dem Panoramafenster im Wohnzimmer, ich muss es einige Male versuchen, bis ich ein halbwegs brauchbares Ergebnis habe. Es gelingt mir, das Foto auf den Computer zu überspielen, ich hänge es an die Mail und sende.
Karla hat mir erlaubt, in ihrem Posteingang nachzusehen, ob für mich Mails gekommen sind. Es gibt nur eine kurze von Droch.
Liebe Mira, liebe, bewunderungswürdige Karla,
ich hoffe, ihr macht die Stadt unsicher, ohne eure Sicherheit zu vergessen. Nichts Neues aus der Redaktion, bis übermorgen, Mira, du Taliban-Dragoner. Euer Droch.
Ich lächle. Ich sehe auf beiden meiner Mobiltelefone nach. Keine neue SMS , kein Anruf, nichts von Oskar.
Jede halbe Stunde stehe ich auf, gehe zum Computer, keine Antwort von Sonja. Sie wird ja nicht die ganze Zeit vor dem Computer sitzen, sage ich mir. Was tut man, wenn man gejagt wird? Ich versuche mithilfe eines kleinen Wörterbuchs, die kyrillischen Buchstaben zu lernen. Ich kann mich nicht konzentrieren. Oder habe ich es einfach schon verlernt zu lernen? Ich lege mich auf das Bett im Gästezimmer und schlafe ein.
Als Karla kommt, checken wir die Mails noch einmal. Noch immer nichts von Sonja.
»Ich habe eine Überraschung für dich, Mira«, lächelt Karla. »Ich habe im › MO ‹ einen Tisch reserviert.«
Ich strahle auf. Ich habe vorgehabt, Manninger morgen zu besuchen, letzte Chance, aber ein Abendessen bei ihm ist mir natürlich noch viel lieber. »Wie hast du einen Tisch bekommen? Da muss man doch sicher lange im Voraus reservieren?«
Karla klopft mir auf die Schulter. Dafür muss sie sich ganz schön strecken, sie ist mindestens einen Kopf kleiner als ich. »Beziehungen, Mädchen, Beziehungen.«
Ich sehe sie bewundernd an.
Sie lacht. »Ich habe Manninger verlangt und gesagt, dass du schon in Moskau seist und bei ihm essen möchtest. Das hat genützt.«
Wir schlendern die Twerskaja hinauf, Nobeleinkaufsstraße Moskaus, eine Designerboutique neben der anderen. Für diesen Abend hätte ich doch besser meinen Hosenanzug eingepackt, aber meine schwarzen Jeans und die schwarze Jacke werden es auch tun. Alles, was Karla hat, ist mir deutlich zu klein. Und hier einzukaufen würde mein Budget übersteigen. Ein klassizistisches Gebäude, viele Schnörkel, viele Simse und etwas kleinere Auslagen. Das Glas wirkt wie altertümliches Kristallglas, spiegelnd klar. Ein liebevoll aufgetürmter Berg von Dosen mit Lachskaviar. Daneben Schinken, Würste, aufwendig gestaltete Verpackungen von Bonbons.
»Das ist das berühmte ›Jelissejew‹. Moskaus schickstes Delikatessengeschäft«, erklärt Karla, jetzt wieder ganz entspannte Fremdenführerin. »Hier hat man schon zur Zarenzeit eingekauft. Im realen Sozialismus waren die meisten Regale leer, aber offen hatte der Laden immer, soviel ich weiß.«
Ob uns noch Zeit bleibt, hineinzuschauen? Karla nickt.
Ein Delikatessendom. Goldverzierter Stuck, prächtige Säulen, die zur hohen gewölbten Decke ragen, Regale aus fein geschnitztem dunklem Holz, mächtige Spiegelaufsätze hoch über dem Boden. Dort moderne Kühlvitrinen mit einer Unmenge von geräuchertem Stör, Lachs, mit Fischen, deren Namen ich nicht entziffern kann. Kaviar aller Arten, in den Regalen dazwischen aber auch so Gewöhnliches wie Mehl oder Zucker. Italienische Köstlichkeiten neben französischen und asiatischen. Ich muss morgen noch einmal her, ich muss Oskar etwas mitbringen. Er liebt Delikatessenläden mindestens so wie ich. Ich mache begeistert einige Fotos, da erinnere ich mich, dass sich Oskar schon den dritten Tag
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