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Russen kommen

Russen kommen

Titel: Russen kommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Rossmann
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Schtschjolkowskaja. Die Stationen stehen auf meinem Metroplan dankenswerterweise auch in Kyrillisch. Ich werde die Buchstaben vergleichen und basta. Ich habe viel Zeit. Trotzdem gehe ich in der Metrostation aus Nervosität zuerst in die falsche Richtung, werde in der zähflüssigen Menschenmasse zur orangefarbenen Linie gedrängt, muss wieder umdrehen, eine gegen den Strom, endlich: die braune Linie.
    Ich bleibe eng am Fenster des Waggons stehen, lasse mich nicht vertreiben, die Lautsprecherdurchsagen sind zu undeutlich, ich muss die Stationsnamen lesen. Kurskaja. Das K ist auch in Kyrillisch ein K, unser U dafür ein Y, das R ein P, wer hat sich so etwas wohl ausgedacht? Vier Stunden Schlaf. Gastronomische Orgie. Da: K, Y, P … Kurskaja. Ich springe aus dem Waggon, diese Station ist zum Glück kleiner und übersichtlicher als die, an der ich eingestiegen bin. Ich darf nicht die grüne Metro nehmen, die blaue in Richtung der Station mit dem unaussprechlichen Namen. Ich finde den Namen auf keinem Schild, auch auf keinem blauen Schild, ich sehe eine Metro der blauen Linie einfahren. Soll ich sie einfach auf Verdacht nehmen?
    »Ismajlowskij?«, frage ich eine Frau mit zwei großen braunen Taschen verzweifelt.
    »Da«, antwortet sie und nickt freundlich. Ich vertraue ihr, ich nehme diese Metro. Bald weiß ich, dass es die richtige ist. Im Waggon hängt ein Plan mit den Stationen. Ich entziffere Ismajlowskaja. Stopp. Karla hat gesagt, ich soll Ismajlowskij Park aussteigen. Die Station gibt es hier gar nicht. Nur eine Ismajlowskaja. Ist wohl dasselbe. Ich sehe wieder auf meinen Metroplan. Da heißt die erste Station Ismajlowskij Park und die nächste Ismajlowskaja. Auf dem Plan in der Metro heißt die erste Partisanskaja, die zweite Ismajlowskaja. Ich muss zum Ismajlowo-Markt. Kann nur bei der Ismajlowskaja sein. Und wenn nicht, ich habe noch fast eine Stunde Zeit, um eine Station zurückzugehen. Die Stationen liegen weiter auseinander als in Wien, erinnere ich mich. Aber so weit wohl auch wieder nicht.
    Ich steige aus. Hier wird die Metro schon oberirdisch geführt. Ich gehe die Treppen hinunter. Ein großer, betonierter Vorplatz, nicht viel anders als dort, wo Sonjas Mutter wohnt. Einige flache Gebäude, dahinter eine der monströsen Satellitensiedlungen. Wie vom Himmel gefallen. Weltraummüll. Ich gehe die flachen Gebäude bei der Metrostation ab. Hier gibt es zwar einige Geschäfte, auch eine Bar und ein paar Verkaufsstände, aber das kann wohl nicht der größte Markt Moskaus sein. Selbst in Floridsdorf haben wir einen deutlich größeren. Wenn man die Straße überquert, steht man am Rand eines Birkenwaldes, der sich bis nach Sibirien zu erstrecken scheint. Jedenfalls ist bis zum Horizont nichts zu sehen als Bäume. Von so einem Wald hat Karla gesprochen. Hat sie gesagt, dass der Markt im Wald liegt? Beim Wald? Mein Kopf ist einfach nicht klar genug. Ich muss wach werden. Dort, eine Tafel. Ich eile hin, aber die Tafel scheint nur den Wald und seine Wege zu beschreiben. Das meiste kann ich freilich nicht entziffern. Ich fühle mich hilflos. Ausgeliefert. Nichts lesen zu können, kein Wort verstehen zu können … Ein älterer Mann mit einem weißen Hund spaziert vorbei. Ich frage ihn auf Englisch nach dem Weg. Er schüttelt bedauernd den Kopf und antwortet etwas auf Russisch.
    »Scheiße«, fluche ich leise und verzweifelt.
    »Sie sprechen Deutsch?«, sagt der Mann.
    Ich nicke begeistert.
    »Mozart, Strauß, ich war Musiker. Habe in Berlin gespielt.«
    Ich frage ihn nach dem Markt. Da sei ich leider falsch, bedauert er. Da hätte ich eine Station früher aussteigen müssen. Die Station habe früher Ismajlowskij Park geheißen, dann habe man sie in Partinsanskaja umbenannt. Hat sich offenbar auf den Stadtplänen noch nicht durchgesetzt, Ich sehe ihn verloren an. Was jetzt?
    Na ja, ich solle entweder die eine Station mit der Metro zurückfahren oder zu Fuß durch den Park gehen, er deutet in die Richtung zweier besonders imposanter Birken. Es sei doch wunderschönes Frühlingswetter. Ich nicke und bedanke mich. Ich habe Angst, mit der Metro in die falsche Richtung zu fahren. Ich gehe mit schnellen Schritten den gewiesenen Weg entlang. Ich habe noch fünfzig Minuten Zeit, das muss reichen. Der Weg verläuft parallel zur Metro. Eine Zeit lang sieht man auch durch die Bäume Teile der Siedlung, ab und zu sogar die Bahntrasse. Dann aber macht der Weg eine Biegung um fünfundvierzig Grad. Der Boden ist grün verwachsen, ich

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