Russen kommen
Investoren zeigen, lauter Ausflüchte. Er und Sachow wollten, dass die Investoren neue, zusätzliche Partner finden.«
»Sie hatten also schon Geld eingezahlt? Wann?«
»Beim ersten Treffen, bei dem ich dabei war. Das war vor einem halben Jahr. Sie haben sich bereits gekannt. Man hat über Projekte geredet, und sie haben Geld eingezahlt, sehr viel Geld, das weiß ich.«
»Auf österreichische Konten?«
»Auch, aber nicht so viel. Das meiste war in bar. Es ist wohl illegal über die Grenze gegangen. Das habe ich mir aber damals noch nicht überlegt.«
»Auf welche Bank wurde Geld eingezahlt?«
Sonja überlegt. »Weiß ich nicht. Ich war nicht dabei. Sie haben bei der Bank jemanden gehabt, der Russisch gesprochen hat.«
»Sie haben nicht gefragt und stillgehalten?«
Sonja zuckt mit den Schultern und sieht sich vorsichtig um. »Geld über die Grenze, da ist nicht so etwas Schlimmes dabei, das hat es immer gegeben. Und ich habe noch nicht gewusst, dass es nicht der richtige Dolochow war. Ich habe etwas geahnt … irgendwann. Ich weiß nicht, wie Immobiliengeschäfte laufen. Und: Ich wollte mein Geld. Ich habe überlegt, ob ich in Moskau jemandem von der Firma erzählen soll.«
»Sie waren immer wieder in Dolochows Wohnung. Sie waren seine Geliebte, nicht wahr?«
»Geliebte. Was für ein Wort. Ja, ich habe ein paarmal mit ihm geschlafen, das hat wohl dazugehört, habe ich gedacht. Leidenschaft war keine dabei, bei mir nicht und bei ihm auch nicht viel. Es war mir nicht wichtig, wenn Sie verstehen.«
»Warum sind Sie am Arlberg aus dem ›Zirben‹ geflüchtet?«
»In dieser Hütte mit dem guten Wein … Dolochow hat einen Baumeister draußen entdeckt, er hat gesagt, der darf ihn hier nicht sehen, der macht Geschäfte mit seinem Bruder. Da ist mir aufgegangen, dass er wohl nicht Boris Dolochow ist.«
»Sie haben ihn nie gefragt?«
»Ich weiß nicht, wie ein Oligarch ist, ob er anders ist.«
»Im ›Zirben‹ war noch ein anderer Mann dabei. Und eine Frau.«
Sonja nickt. »Sein Chauffeur und Leibwächter, Sergej Popp. Und seine Freundin, sie heißt Valentina, den Nachnamen weiß ich nicht, so ein Flittchen, das von den Männern lebt.« Sie verzieht geringschätzig den Mund.
»Sie sind gemeinsam zurück nach Moskau? Wann?« Ich schaue Sonja an und sehe jetzt erst, dass von der gepflegten jungen Frau am Arlberg wenig geblieben ist. Strähniges Haar, wohl lange schon nicht gewaschen, fleckige Haut, keine Spur von Make-up, die billige braune Nylonsteppjacke sieht aus, als hätte sie darin geschlafen.
»Dolochow, Popp, diese Valentina und ich, wir sind vom Arlberg nach Wien gefahren. Sachow ist am Arlberg geblieben, er hat noch auf Geld gewartet.«
»Wissen Sie, wer Dolochow ermordet hat?«
Sonja starrt mich an. »Ich brauche Schutz. In Österreich. Ich brauche Asyl. Dann rede ich.«
Ich schüttle den Kopf. »Ich kann Sie unmöglich über die Grenze bringen. Sie müssen jetzt reden. Wenn der Fall geklärt ist, sind Sie sicher.«
Sonja lacht bitter auf. »Sicher? Sie haben keine Ahnung …« Sie sieht sich gehetzt um, zuckt zusammen. Ich sehe ihn ihre Richtung, viele Menschen, Geschiebe, Gedränge, Lastenträger, Lastenzieher mittendrin. Wir sind sehr weit weg von Europa. »Ich muss weg. Sie dürfen mich nicht mit Ihnen sehen. Seien Sie vorsichtig.«
Ich packe sie am Arm, Sonja schüttelt mich ab, es gelingt mir bloß noch, ihr eine Visitenkarte von Karla zuzustecken. »Gehen Sie zu ihr, Karla kann Sie beschützen.« Hoffentlich. Ich bitte Karla in Gedanken um Verzeihung, aber sie hätte wohl das Gleiche getan. Sonja verschwindet in der Menschenmenge, einer der asiatischen Lastenträger blockiert mir den Weg. Dort hinten muss sie abgebogen sein. Ich haste an Bikinis und T-Shirts und Jeans und wieder T-Shirts vorbei. Keine Sonja. Ich probiere es noch in ein paar anderen Gängen. Keine Chance. Ich muss hinaus. Ich sehe mich um. Verfolgt man auch mich? Wie soll ich das hier erkennen? Jeder, der sich gerade die gefälschten Markenuhren ansieht, kann ein Verfolger sein. Ein Messerstich in der Menge fällt nicht auf. Ich überlege, wo der Eingang gewesen sein muss. In dieser Verkaufszelle war ich schon einmal. Ich hetze, bald weiß ich, dass ich im Kreis gegangen bin. Ich beschließe, eine der Hauptzeilen bis zum Ende zu gehen. Fünfhundert Meter, so lang sind die Hauptgänge mindestens, dann stehe ich vor einer Mauer. Totes Ende. Soll ich den Quergang nach oben oder nach unten nehmen? Ich habe nicht aufgepasst,
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