Russen kommen
niederlassen, heißt es. Er hat viel Grand gekauft, er wollte eine Riesenvilla mit Blick über die ganze Gegend bauen. Es geht auch das Gerücht, er habe in den Weinbau einsteigen wollen.«
»Reich werden hätte er damit aber nicht können«, erwidere ich.
Der Polizist nickt. »Reich war er schon. Vielleicht wollte er sich zur Ruhe setzen und sein Geld in Russland für sich arbeiten lassen. Seine Frau ist Turnierreiterin, ihr wollte er hier ein Gestüt bauen, heißt es.«
»Warum sind die beiden Toten derart rasch nach Russland gebracht worden?«, frage ich.
»Sind sie das? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass es sich um einen Unfall mit Todesfolge gehandelt hat.«
Wenig später stehe ich auf meinem Hügel, von dem aus ich vor Jahren zum ersten Mal nach dem Winzerehepaar Berthold Ausschau gehalten habe. Er, der neue Starwinzer mit den leuchtend blauen Augen. Sie, die ehemalige Lehrerin, die ihm den Rücken frei gehalten hat, auch wenn seine blauen Augen vielen gefallen haben. Es ist der Hügel, von dem man einen nahezu unglaublichen Blick auf Wien hat. Heute lässt sich Wien im Dunst hinter der Großbaustelle nur erahnen. Sie haben eine riesige braune Schneise durch die Landschaft geschlagen, früher sind hier Wein und Sonnenblumen gewachsen. Kräne heben staubige Erde auf rote Lkw, wie große rote Termiten sehen sie aus, hügelauf, hügelab unterwegs auf den eben gebauten Sandpisten, Männchen wie Läuse vor Baumaschinen. Ich fotografiere, wahrscheinlich werde ich jemanden aus unserer Fotoredaktion herschicken müssen, sie sind die Profis. Aber die braune Schneise durch die Weinhügel, der Staub, dahinter eine Ahnung von Wien, die Sonne hinter einem Wolkenschleier, schwach, so als ob auch sie unter einer Staubschicht liegen würde – das gibt schon etwas her.
Ich treffe mich mit einem Autobahngegner, der resigniert meint, jetzt könne man nichts mehr tun, man müsse die eigenen Grenzen erkennen. Ich rede mit einem Autobahnbefürworter, der vom »freien Verkehr in einem freien Europa« schwärmt. Angeblich hat er für seinen Grund eine großzügige Ablöse bekommen.
Ich telefoniere mit dem stellvertretenden Leiter des Krankenhauses Mistelbach. »Keinerlei Auskünfte über die verunfallten Russen«, sagt er.
Der Bürgermeister, der immer schon für die Autobahn war, ist da redseliger. Man sei »von Russland aus« aufgefordert worden, die Toten so rasch wie möglich nach Moskau zu schicken. Für eine Obduktion habe es keinen Grund gegeben, also seien die Leichen am nächsten Tag freigegeben und per Flugzeug heimgebracht worden. »Ein Routinefall«, sagt der Bürgermeister.
»War es wirklich der russische Präsident, der angerufen hat?«
»Wer weiß«, antwortet der Bürgermeister, und mir ist klar, er hat keine Ahnung.
Es ist ein lauer Frühlingsabend. Eva und ich sitzen im Hof des wunderschön umgebauten Winzerhauses, ein Umbau, dessen Kosten ihr vor einigen Jahren fast zum Verhängnis geworden wären. Vor uns ein Glas mit Weinviertel DAC , diesem ganz besonderen Veltliner, den ich so mag. Eva erzählt von Grundstücksablösen, die einige Autobahnskeptiker ganz plötzlich zu Befürwortern gemacht haben, von Baufirmen mit guten Freunden »ganz oben«, von kleinen Politkaisern, die keinen Widerspruch dulden, nicht viel anders als in Moskau, nur dass die Demonstranten hier nicht gleich eingesperrt werden. Womit wir wieder bei meinem Lieblingsthema wären.
»Was passiert eigentlich mit den Grundstücken, die der Russe gekauft hat?«, frage ich.
»Das weiß keiner. Es ist vielen bei uns auch ziemlich egal. Es gibt genug Leute, die mit der Landwirtschaft nichts mehr zu tun haben wollen, sie waren froh, einen guten Preis für ihren Grund zu bekommen.«
Ich nehme noch einen Schluck und schaue zu den Sternen. Zu Evas Füßen liegt Reblaus, der Schäferhund, und schnauft zufrieden. Als ihr Mann starb, war Reblaus noch ganz jung.
Am nächsten Morgen liegen vier Kisten Wein gut verstaut im Kofferraum. So gesehen war mein Ausflug ein Erfolg. Was die beiden Russen von der Brünner Straße angeht, so ist mir und so manchen anderen einfach die Fantasie durchgegangen. Ich muss den Tatsachen ins Auge sehen. Meine nächste Reportage wird sich mit dem Klimaschutz beschäftigen. Am Beispiel des Baus einer neuen Autobahn Richtung Norden. Wien-Prag-Dresden-Berlin, freier Verkehr für freie Bürger, oder wie das heißt. Auch nicht uninteressant.
Wieder zurück in der Redaktion, versuche ich ein Interview mit dem
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