Russen kommen
Bautenminister und eines mit dem Umweltminister zu bekommen. Man werde mich zurückrufen, heißt es. Mein Tipp: Der Umweltminister sagt zu, der Bautenminister sagt ab. Man will vorkommen in den Medien, schon gar im »Magazin« mit seiner hohen Auflage, aber man will positiv vorkommen. Der Umweltminister wird seine Pläne zum Klimaschutz herunterbeten, vielleicht glaubt er sogar daran und will wirklich das eine oder andere tun. Zur neuen Autobahn wird er bloß meinen, man baue sie so umweltverträglich wie möglich und man könne sich der Tatsache eben nicht verschließen, dass mit der Ostöffnung auch der Verkehr zugenommen habe. Wir alle seien doch für den Fall des Eisernen Vorhanges gewesen, oder?
Ich kürze gerade das Interview mit der Klima-Expertin, es muss in den vorgesehenen Kasten passen, als mein Telefon läutet.
»Mira Valensky.«
»Maria.«
Sonst nichts. Für einen Moment bin ich irritiert. Will schon »falsch verbunden« sagen. Dann begreife ich. Es ist mein Vater. Für meine Eltern heiße ich Maria. Wie sie es eigentlich auch für die Taufurkunde vorgesehen haben, doch hat ein älterer, leicht verwirrter Pfarrer versehentlich »Mira« hineingeschrieben. Maria hat mir nie besonders gefallen. Seit ich meine Taufurkunde gesehen habe, bestehe ich auf Mira.
»Alles in Ordnung, Vater?«, frage ich mit spürbar schlechtem Gewissen. Ich sollte viel öfter bei meinen Eltern anrufen.
»Was planst du da für eine Geschichte?«
Aus irgendeinem Grund denke ich sofort an die Russen. Dass mein Vater da auch die Finger im Spiel hat, ist typisch. Er war Landesrat, ist seit Jahren in Pension, aber politische Ehrenämter sammelt er immer noch wie andere Briefmarken. Und wenn sich etwas tut in unserem kleinen Land, dann ist der alte Valensky mit dabei.
»Es ist doch interessant, was die neuen Russen in Österreich machen. Aber bei den beiden auf der Brünner Straße hat es sich wirklich um einen Unfall gehandelt. Das weiß ich inzwischen«, sage ich fröhlich.
»Die Russen? Was für Russen? Was haben die mit der Autobahn zu tun?«
»Nichts, denke ich. Die Autobahn – du meinst die Nordautobahn?«
»Was sonst? Mir ist zu Ohren gekommen, du willst da alte Protestgeschichten aufrühren, wo doch momentan alles ganz nach Plan läuft.«
»Ich schreibe über den Klimawandel. Und über den Bau der Autobahn, der wohl das Gegenteil von dem ist, was Politiker am Sonntag über Klimaschutz erzählen.«
»So ein Unsinn. Schlag dir das aus dem Kopf. Von Politik verstehst du nichts, von mir aus kümmere dich um die Russen, dir ist hoffentlich klar, dass die Autobahn ein Regionalprojekt von höchster Priorität ist. Arbeitsplätze, bessere Verkehrsanbindung, Schutz der Bevölkerung vor den gefährlichen Ortsdurchfahrten.«
»Wer hat dir erzählt, dass ich an einer Reportage arbeite?«, frage ich langsam. Da scheine ich in ein Wespennest gestochert zu haben. Die Sache beginnt mich immer mehr zu interessieren.
»Der Landeshauptmann höchstpersönlich hat mich kontaktiert.«
»Hört sich an, als sei er der Kaiser und du sein Diener.«
»Maria! Mir ist wirklich nicht nach deinen üblichen Witzen. Er hat mich dringend ersucht, dir klarzumachen, dass er keine Negativpropaganda dulden wird, im Interesse des Landes.«
»Vater – und den Schwachsinn bist du bereit mir auszurichten?«
Mein Vater seufzt. Ich weiß nicht, wird er gleich losschreien, wird er auflegen? Er tut nichts von beidem. »Ich dachte, durch Oskar wärst du etwas vernünftiger geworden.«
Das wieder bringt mich auf die Palme. »Weil mich ja nur ein Mann ›vernünftiger‹ machen kann, was?«
»Offenbar nicht. Ich warne dich, du bekommst Probleme, ich will dir ja nur helfen. Und mit dem Klimawandel hat das Thema wirklich nichts zu tun.«
»Richte deinem Landeshauptmann aus, dass eine hochrangige Klima-Expertin da ganz anderer Ansicht ist.« Ich seufze auch. Ich will eigentlich nicht mit meinem Vater streiten, aber da muss man ja wütend werden. Ich bin fünfundvierzig und treffe meine eigenen Entscheidungen. »Wie geht es Mama?«
»Gut, abgesehen von ihren Rheumaschüben. Und er ist nicht mein Landeshauptmann. Schreib lieber über die Russen. Ich kenne einen, der war in russischer Gefangenschaft. Der hätte das fast nicht überlebt. Eiskalt war es und pro Tag nur ein Stück Brot. Er hat sich jedes Mal überlegt: Wärmt er das Brot auf dem kleinen Ofen, dann hat er wenigstens eine warme Mahlzeit. Oder isst er es kalt, dann hat er länger etwas zu kauen und
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