Russen kommen
nächsten Tag fahre ich tatsächlich ins Weinviertel. Wein holen und recherchieren. Ich habe vereinbart, bei Eva zu übernachten. Damals, als es durch meine Decke geregnet hat, weil das Dach ausgebaut wurde, habe ich einige Monate bei ihr Asyl bekommen. Ich liebe das Weinviertel, aber ich weiß seither auch, dass das Landleben nichts für mich ist. Viel zu früh aufstehen. Zu wenige Lokale, keine Chance, anonym zu bleiben. Wer nicht ständig arbeitet, wird schräg angeschaut. Zumindest von den Älteren. Allerdings: Was hat der Hotelier vom »Sonnenhof« erzählt? In der Saison arbeite er so sechzehn Stunden am Tag, manchmal auch mehr. Schlafen könne er, wenn die Gäste weg seien. Kein Wunder, dass er manchmal ein bisschen zu viel trinkt.
Ich werde den Leiter einer Bürgerinitiative gegen die Autobahn treffen, ich werde mit dem Bürgermeister reden, der die Autobahn schon immer gefordert hat, und ich habe einen Termin mit dem Oberförster der Gegend. Er hat mir schon am Telefon über die Auswirkungen der erhöhten Umweltbelastung erzählt.
Was die Russen angeht, hat mich Eva an einen Cousin zweiten Grades verwiesen. Er ist Polizist und hatte, soviel sie wisse, mit der Aufnahme des Unfalls zu tun. Ich treffe ihn, sozusagen ganz privat, in der Cafeteria des Einkaufszentrums am Rand von Mistelbach. Gesichtslose Scheußlichkeit aus Beton mit grellen Werbeaufschriften, wahrscheinlich kaufen hier viele aus purer Verzweiflung ein. Was sollte man auch sonst hier tun?
Ein einziger Mann, der allein an einem der kleinen Tische sitzt. Wir hätten ein Erkennungszeichen vereinbaren sollen. Eva hat ihren Cousin als nicht besonders groß beschrieben, dunkle Haare, schlank, siebenunddreißig Jahre. Das könnte auf den Mann zutreffen. Ich gehe langsam in seine Richtung, warte auf eine Reaktion. Er trägt Jeans und ein blaues Poloshirt. Ich habe auch nicht angenommen, dass er in Uniform kommen würde. Wie peinlich, wenn er es doch nicht ist und glaubt, ich wolle ihn anbaggern. Die fünfundvierzigjährige Journalistin auf Männerfang. Er sieht an mir vorbei, rührt in seinem Kaffee. Noch länger kann ich nicht hier herumstehen. Ich gebe mir einen Ruck. »Herr Fellner?«
Der Mann sieht auf. Erleichtert. »Frau Valensky?«
Mein Cappuccino schmeckt ausgezeichnet, hätte ich hier gar nicht vermutet. Eva sei immer schon seine Lieblingscousine gewesen, erklärt Reinhard Fellner. Und eigentlich gebe es nichts, was er mir über die toten Russen verschweigen müsse. Aber trotzdem: Dieses Gespräch sei privat, im »Magazin« dürfe er nicht vorkommen.
Für die Polizei redeten nur Vorgesetzte oder Polizeisprecher, alle anderen müssten Medien gegenüber den Mund halten. – Oder sie erzählen eben privat etwas. Einem Freund. Der Freundin einer Cousine.
»Der Fall ist überhaupt nicht aufregend, einmal abgesehen davon, dass es sich um einen reichen Russen und seinen Fahrer handelt«, murmelt der Polizist. »Wir haben den Unfall aufgenommen und vermessen. Es ist alles ganz klar: Der Fahrer war mit cirka 140 km/h unterwegs, die erlaubte Geschwindigkeit war 70. Es hat geregnet, die Straße war voller Bauschlamm. Ihr BMW X 5 ist ein ausgezeichnetes Auto, er wäre vielleicht sogar trotz der hohen Geschwindigkeit mit der rutschigen Fahrbahn fertig geworden. Doch dann ist ihnen von links ein Reh ins Auto gelaufen. Der Fahrer hat verrissen, das Auto ist ins Schleudern gekommen und gegen einen Baum geknallt. Die beiden waren schon tot, als wir gekommen sind.«
»Und wenn die Fahrbahn für die beiden mit Bauschlamm präpariert worden ist?«, frage ich.
»Und was ist mit dem Reh? Das hat einer gefangen und im passenden Moment auf die Straße geschickt?« Der Polizist sieht mich mit leisem Spott an. »Ich weiß schon, dass ihr hinter jeder Story her sein müsst, und solche Russen beflügeln die Fantasie. Wir haben die Baufirma schon ein paarmal verwarnt, sie reinigt die Straße nicht so gründlich, wie es im Vertrag steht. Es hat schon einige Unfälle gegeben.«
»Wer war dieser Russe?«, probiere ich es weiter, auch wenn es mich kränkt, dass er mich mit irgendwelchen Sensationsreportern in einen Topf zu werfen scheint. Ich bin eine, die … Was für eine bist du, Mira? Eine, die lieber über Russen als über Klimaschutz schreiben würde. Und? Was ist dabei?
Evas Cousin schüttelt den Kopf. »Ich war nur bei der Unfallaufnahme dabei, ich weiß nicht mehr, als bei uns in der Gegend erzählt wird. Er wollte sich mit seiner Familie im Weinviertel
Weitere Kostenlose Bücher