Russen kommen
Weinmesse in Hamburg, zwei der Arbeiter haben Grippe, ich bin die ganze Zeit am Ausliefern. Aber wenn du sagst, wann du kommst, schau ich, dass ich da bin.«
Ich sehe schon die Weinhügel vor mir. Wer sagt, dass ich mich sofort um ein anderes Reportagenthema kümmern muss? Auszeit im Weinviertel. Damit stelle ich auch klar, dass ich nicht sofort springe, wenn der neue Chefredakteur etwas von mir will. So eine Frechheit. »Haben Sie schon an ein Buch gedacht?« Nur weil ich weiß, was ausführliche Recherche ist. Und die Idioten aus der Redaktion haben dazu auch noch gelacht. Selbst Droch … »Wie wär’s mit heute Nachmittag?«, frage ich.
»Oje, ich bin gerade Richtung Tirol unterwegs. Morgen Nachmittag. Das ginge vielleicht.«
Ich bin enttäuscht. »Was hältst du von Russen? Ist das ein Thema? Würde dich eine Reportage über die neuen Russen in Österreich interessieren?«, frage ich dann. Eva ist aufgeschlossen. Sie bekommt eine Menge mit. Und doch lebt sie in einer ziemlich anderen Welt als ich. Mich interessiert ihr Zugang.
»Ich weiß nicht«, sagt sie nach einigem Zögern. »Russen. Warum nicht? Der Zirler, ein Winzer aus dem Nachbarort, hat Etiketten mit kyrillischer Aufschrift drucken lassen. Er will einer der Ersten sein, bei dem die Russen Wein bestellen. Nur dumm, dass er keinen besonders guten hat.« Eva lacht.
»Und gibt es schon Russen, die Wein bestellen?«, will ich wissen.
»Bei den letzten Weinmessen gab es ein paar russische Einkäufer, die waren interessiert, aber bisher hat sich keiner gemeldet. Und als Privatkunde hat sich bei uns noch kein Russe blicken lassen. – Warum willst du ausgerechnet über Russen schreiben?«
Ich seufze. Vielleicht ist es wirklich besser, ich stürze mich auf den Klimaschutz. Oder gar auf die Freundinnen unserer Spitzenpolitiker. Igitt.
»Ein Russe hat allerdings ziemlich viel Grund in unserer Umgebung aufgekauft«, fährt Eva unterdessen fort. »Warum, weiß keiner. Klar ist nur, dass die Grundstückspreise enorm gestiegen sind. Ihm scheint es ziemlich egal gewesen zu sein, was ein Weingarten üblicherweise kostet.«
»Er ist nicht mehr da?«
»Verkehrsunfall auf der Brünner Straße. Er und sein Fahrer waren auf der Stelle tot. Angeblich war er ein guter Freund des russischen Präsidenten. Mir hat jemand aus dem Mistelbacher Krankenhaus erzählt, der russische Präsident selbst habe angerufen und ein paar Stunden später seien die Leichen schon per Flugzeug unterwegs nach Moskau gewesen. Na ja. Wer weiß, ob es stimmt. Ein anderer hat erzählt, die beiden seien bei uns eingeäschert worden. Und bei der Einäscherung sei der russische Präsident inkognito mit dabei gewesen.«
Gerüchte. Vielleicht ließe sich herausfinden, was wirklich stimmt. »Und du bist sicher, dass das ein Unfall war?«, frage ich hoffnungsfroh und denke an Russenmafia, Doppelmord, eine Story, der auch unser neuer Chefredakteur nicht widerstehen könnte.
»Ich war nicht dabei. Aber ich kenne einen von der Feuerwehrtruppe, die die beiden aus dem Wrack geschnitten hat. Er sagt, der Fahrer sei einfach viel zu schnell unterwegs gewesen. Die ganze Brünner Straße ist Baustelle, du weißt ja, sie bauen diese idiotische Nordautobahn. Man darf nur 70 km/h fahren, das Auto war mit 140 unterwegs. Es hat geregnet, und durch die Bauarbeiten war die Fahrbahn voller Schlamm. Es gibt eine Menge Unfälle, seit sie mit den Bauarbeiten begonnen haben. Dabei braucht diese Autobahn wirklich keiner. Von der Umwelt gar nicht zu reden. Ich war bei einer Bürgerinitiative dabei, aber gegen unsere Lokalkaiser kommst du nicht an.«
In meinem Hirn rattert es. Wer sagt denn, dass mich Umwelt und Klimaschutz nicht doch interessieren? Am Beispiel der Nordautobahn. C02-Ausstoß, Sonntagsreden von Politikern, Machtpolitik. Und was genau mit den zwei toten Russen los war, gehört natürlich dazu. Sollte sich die Story dann doch in eine andere Richtung entwickeln, was kann ich dafür? Ich grinse ins Mobiltelefon.
»Hallo! Mira! Bist du noch da?«
»Wer kann mir mehr über die toten Russen erzählen? – Und über den Autobahnbau natürlich …«
Gegen Abend habe ich bereits ein Interview mit einer hoch angesehenen Klima-Expertin in der Tasche, sie will die neue Autobahn nicht direkt mit dem Klimawandel in Zusammenhang bringen, aber es sei jedenfalls so, dass mehr Verkehr zur Erderwärmung beitrage. Und was das weihevolle Klimagequatsche so mancher Politiker angeht, fand sie wunderbar deutliche Worte.
Am
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