Russen kommen
mich ebenfalls.
»Sie werden nichts über diesen Fall schreiben«, sagt Zuckerbrot.
»Kennen Sie die Pressefreiheit? Sie ist ein Grundrecht. Verfassungsmäßig garantiert.«
»Dann wissen Sie ja auch, dass Grundrechte gegeneinander abzuwägen sind. Die Öffentliche Sicherheit und Ordnung haben auch mit einem Grundrecht zu tun.«
»Geben Sie es mir schriftlich, dass ich nichts bringen darf, und wir übergeben die Sache unseren Anwälten.« Ganz schön kühn, von »wir« zu sprechen, keine Ahnung, wie der neue Chefredakteur auf so etwas reagiert.
»Ich warne Sie«, sagt Zuckerbrot jetzt ganz ruhig.
Ich versuche, ein Lächeln zu unterdrücken. Sie haben es geprüft. Und befunden, dass die rechtlichen Grundlagen nicht ausreichen, eine Berichterstattung zu verbieten. Zuckerbrots Anlauf fällt mehr unter die Rubrik: »Probieren wird man es ja noch dürfen.« Hat doch Sinn gehabt, dass ich in grauer Vorzeit Rechtswissenschaften studiert habe.
Ich gebe den beiden Herren wortlos die Hand und gehe zur Tür.
»Wenn Sie uns etwas verschweigen, dann sind Sie dran«, gibt mir Czerny mit auf den Weg.
Von dem Vorfall in Vorarlberg erzähle ich trotzdem nichts. Hat ja auch nicht direkt etwas mit einer strafbaren Handlung zu tun.
Dennoch sollte ich vielleicht Oskar fragen, ob ich der Polizei das mit der Flucht von Dolochow am Arlberg verschweigen darf, überlege ich, als ich im ramponierten Lift nach unten fahre. Zum ersten Mal steht mir Zuckerbrot offen feindselig gegenüber. Oskar will, dass ich meine Finger von dem Fall lasse. Ich fühle mich sehr allein. Und sehr hungrig. Seit dem kleinen Gulasch am Vormittag habe ich nichts mehr gegessen. Hunger schlägt sich bei mir immer auf das Gemüt. Trotzdem, ich muss in die Redaktion zurück. Ich werde mir Sushi kommen lassen, tröste ich mich. Und Vesna hält jedenfalls zu mir. – Und was ist mit dem neuen Chefredakteur?
Er ist zum Glück da, das Büro hat sich verändert. Der ehemalige Chefredakteur ist immer ganz hinten in seinem imposanten Ledersessel gelegen, beinahe waagrecht, ultralässig. Über seinem Kopf war ein Flachbildschirm montiert, auf dem CNN oder ähnliche Nachrichtenkanäle ohne Ton liefen. Ich hab ihn allerdings auch schon dabei ertappt, wie er sich eine Soap reingezogen hat. Jetzt ist der Bildschirm dunkel, dafür gibt es neben dem PC noch einen aufgeklappten Laptop. Der übergroße Ledersessel ist durch einen von durchschnittlicher Dimension ersetzt worden. Und: Der früher penibel aufgeräumte Schreibtisch ist übersät mit Zeitungen, Zeitschriften, Druckvorlagen, Fotos, Büchern. Ich muss zu lange auf das Chaos gestarrt haben. Der neue Chefredakteur hebt ratlos die Arme. »Ich bemühe mich wirklich, aber es gelingt mir nicht.« Er blickt unglücklich auf das Durcheinander. Und dies ist der erste Moment, in dem ich ihn wirklich mag.
»Ist doch ganz normal, wenn man arbeitet«, erwidere ich und erzähle dann, was ich im Fall Dolochow weiß. Inklusive der Warnungen vonseiten Zuckerbrot und Co.
»Natürlich werden wir darüber schreiben. Interventionen kenne ich vom Fernsehen her sehr gut«, meint Feldner. »Ich habe übrigens die Übersetzung der Nachricht aus der Wohnung am Graben: ›Du bist der Erste, Grüße aus Moskau.‹ Der Übersetzer hat gemeint, die Buchstaben seien mit der linken Hand geschrieben worden. Oder von jemandem, der es nicht gewohnt ist, Kyrillisch zu schreiben.«
Ich sehe den Chefredakteur an: »Haben Sie eine Ahnung, was das bedeuten soll?«
Er schüttelt den Kopf. »Klingt nach Russenfehde. Aber vielleicht soll es auch bloß danach klingen.«
»Ich brauche die Adresse der Putzfrau. Und ich sollte wissen, wer die Wohnung gemietet hat: Dolochow persönlich?«, fahre ich fort und denke: Du bist der Erste. – Wer ist der Nächste?
»Ich habe meinen Freund in Peking erreicht. Ich habe ihn das schon gefragt. Die Wohnung wurde von der Firma ›Direktinvest‹ gemietet, unterschrieben hat ihr Manager Andrej Sachow. Dieser Sachow hat meinem Freund gesagt, dass er die Wohnung für einen prominenten Russen miete, der lieber inkognito bleiben wolle. Die Firmenadresse ist übrigens nicht existent, das habe ich bereits überprüft.«
»Und warum hat Ihr Freund das nicht getan?«
Feldner starrt auf den schwarzen Bildschirm. »Sie haben im Voraus gezahlt. Bar. Er konnte gerade etwas Geld brauchen. Es geht um seine geschiedene Frau. Er hat nicht lange nachgefragt. Aber er hat den Mietvertrag ganz legal gemeldet und zahlt dafür auch
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