Russen kommen
nicht wütend. Es ist mir zu gefährlich, ihn auf dem Mobiltelefon anzurufen. Und ich will morgen ohnehin wieder zurückfliegen.
»Das wird schon so sein, aber davon bekommen wir wenig mit«, erwidert die Hotelchefin.
»Es soll Russen geben, die ganz schön mit ihrem Geld herumwerfen«, fahre ich fort.
»Das sind wenige, das wird aufgebauscht. Und es sind für gewöhnlich nicht die Superreichen. Ich kann mich erinnern, ich war damals noch ein Kind, da sind zum ersten Mal die Deutschen in großen Wellen gekommen. Meine Güte, was war da nicht alles über die protzigen, überheblichen Deutschen zu lesen. Und in Wirklichkeit waren die meisten einfach nette, umgängliche Menschen. Sie haben eben nach dem Krieg früher wieder Geld gehabt als wir in Österreich. Das haben ihnen einige bei uns übel genommen.«
»Dolochow hat im ›Zirben‹ zwei Flaschen Château Petrus bestellt.«
Hanni Guggenbauer lacht. »So was haben wir bei uns gar nicht auf der Karte, da erspart man sich dann auch die entsprechenden Gäste.« Sie wird nachdenklich. »Eigentlich komisch. Die Typen mit dem Château Petrus sind meistens andere. Neureiche, aber nicht so reich. – Oder hatte er Gäste dabei, die er beeindrucken wollte?«
Ich schüttle den Kopf. »Es hat ganz danach ausgesehen, dass er der Boss war. Würde eher dem Bruder ähnlich sehen, so teuren Wein zu bestellen, als dem echten Oligarchen.«
»Oder der Oligarch wollte endlich einmal auf den Putz hauen, ausflippen, nicht vernünftig sein. Leisten kann er es sich ja«, überlegt Hanni Guggenbauer. Beinahe sehnsüchtig sieht sie drein, so als ob sie selbst endlich einmal ausflippen und unvernünftig sein wollte.
Ein junger Mann in Jeans und T-Shirt kommt zögernd näher. Ich kenne ihn von meinen letzten Tagen hier im »Sonnenhof«. Damals trug er Kellnerkleidung.
»Was ist, Thomas?«, fragt die Hotelbesitzerin, und zu mir gewandt: »Er bleibt, bis wir auch von der Baustelle niemanden mehr zu verköstigen haben.«
»Das Essen ist fertig.«
Es gibt Penne mit Schinken und Käse, dazu viel Salat. Ein einfaches, deftiges Abendessen für die Arbeiter und die verbliebene Hotelmannschaft. Hanni Guggenbauer entschuldigt sich bald, sie sei müde, irgendwie habe die Saison doch an ihr gezehrt. Ihre Augen liegen tief in den Höhlen. Muss nicht ganz einfach sein, monatelang als ständig muntere, freundliche Gastgeberin und Unternehmerin durchzuhalten. Wann ihr Mann denn komme? Sie sieht zweifelnd drein. »Früh sicher nicht, sie haben Tourismussitzung.«
Danach, so kann ich mir zumindest vorstellen, wird noch ein wenig getrunken.
»Tut mir leid, dass ich Ihnen nicht mehr bieten kann«, lächelt sie. »Ich bin sehr froh, dass Sie mich aufgenommen haben. Und wenn es Ihnen nichts ausmacht, möchte ich auf Ihren Mann warten.«
»Natürlich nicht. Ich drehe Ihnen den Fernseher an, der in der Lobby steht. Ich denke, alle anderen gehen schlafen, die Arbeiter fangen am Morgen an, wenn die Sonne aufgeht.«
Kann sein, dass hier die Preise hoch sind, kann sein, dass man im Hotelgewerbe am Arlberg gut verdient, aber spätestens jetzt wird mir klar, wie kurz die Saison ist und wie viel rundherum notwendig ist, um alles am Laufen zu halten.
Ich sehe mir zwei amerikanische Soaps an, sie haben den Vorteil, dass keine Russen vorkommen. Danach schalte ich auf die Spätnachrichten. Ein kurzer Beitrag über den Russen-Mord, aber nichts Neues. Ich zappe weiter. Eine Kochshow. Zwei Gruppen scheinen gegeneinander zu kochen. Nicht einmal kochen kann man jetzt mehr miteinander. Gegeneinander. Außerdem habe ich schon bessere Rezepte für Wildschweinbraten erlebt.
Ein Geräusch. Ich schrecke hoch. Ich muss eingeschlafen sein. Es ist Christof Guggenbauer, der Hotelier.
»Was machen Sie hier?«, fragt er halblaut.
»Dolochow«, erwidere ich schlaftrunken.
»Ich hab Ihren Artikel gelesen. Ich hab schon an Sie gedacht.«
»Haben Sie ihn damals getroffen?«
»Leider nein. Aber wie es aussieht, war es ohnehin der falsche, oder?«
»Ich hätte noch Lust auf ein Glas Rotwein«, sage ich.
Wir sitzen in der Lobby und trinken hervorragenden italienischen Cabernet aus edlen Gläsern. Stil hat man hier, sogar um zwei in der Nacht.
»Warum haben Sie sich doch nicht mit Dolochow getroffen?«, will ich wissen.
»Weil die Sache ganz anders war, als ich gedacht hatte. Mich hat ein Russe angesprochen, ein Bekannter von einem Stammgast. Ich habe gedacht, Dolochow wolle bei uns am Arlberg investieren. Am nächsten Tag
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