Russen kommen
Chefredakteur essen?«
Ich seufze. »Ich hab Zeit.« Wir gehen zum Türken. Ich beschränke mich auf einen Salat, sollte ich viel öfter machen, aber heute fehlt mir ohnehin der Appetit. Ich kann es nicht brauchen, dass Droch auf den Chefredakteur eifersüchtig ist. Absurd. Mein lieber Droch. Als ob ich ihn für den Chefredakteur … Er fragt mich nach dem, was gestern passiert ist, Vesna hat ihm nicht sehr viel gesagt. Ich erzähle ihm das meiste, auch von der Warnung via E-Mail. Er beschwört mich, mit Zuckerbrot zu reden.
»Früher hätte ich mit ihm geredet, ganz sicher. Aber so, wie er jetzt ist …«
»Du hast keine Ahnung, unter welchem Druck er steht.«
»Es hat ihn niemand gezwungen, sich zum Leiter der Wiener Polizei machen zu lassen.«
»Zum interimistischen Leiter. Und bist du dir da sicher? Wäre ich nicht. Wer weiß, wer es an seiner Stelle geworden wäre. Auch so kann Zwang entstehen. Stell dir vor, es wäre möglich gewesen, dass unser Chronikchef Chefredakteur wird. Du hättest dich beworben, oder?«
»Sicher nicht«, sage ich, »ich wäre gegangen.« Aber ganz genau weiß ich es doch nicht.
Den Nachmittag verbringe ich nicht bei Zuckerbrot, sondern auf dem zuständigen Polizeirevier. Nein, ich kann keine Personenbeschreibung des Räubers liefern, nein, der Typ hat kein Wort gesagt, nein, ich weiß nicht, ob Inländer oder Ausländer, nein, ich habe keine Rechnung mehr für mein Kaschmirtuch. Irgendwann bekomme ich ein unterschriebenes Protokoll und pilgere weiter zur Bank, bestelle neue Bankomat- und Kreditkarte, weiter zur Bezirkshauptmannschaft, Pass beantragen und auch gleich noch einen Personalausweis in Scheckkartengröße. Gerade als ich erschöpft aus dem Amt schleiche und überlege, ob ich mir in einem Café einen Cappuccino oder doch lieber ein Glas Prosecco gönnen soll, läutet das Telefon. Ungewohnter Ton, meinen alten Klingelton muss ich erst finden und wieder einstellen, aber jedenfalls ist es das Telefon mit meiner bisherigen Nummer.
»Tut mir leid, dass ich gestern so sauer war«, sagt Oskar ohne Einleitung. »Aber du musst mich auch verstehen. Ich mache mir Sorgen. Ich sage Termine ab, ich fahre zu dir, und dann werde ich beinahe niedergeschlagen.«
Ich seufze. »Mir tut es auch leid.«
Pause in der Leitung.
»Ich hab etwas, um es wiedergutzumachen«, sagt Oskar.
Mein Herz schlägt höher. Ein schöner Abend zu zweit. Ich werde ihm alles erzählen.
»Ich habe ein Abendessen mit Professor Welser organisiert, er lässt sich immer gern einladen, ich hab dir ja gesagt, dass er schrullig ist und sehr sparsam. Du kannst ihn fragen, was am Arlberg los war. Wenn ich dabei bin, redet er sicher.«
Liebe Güte. Ich hätte gern um einiges mehr gewusst, bevor ich mit ihm rede. Auf der anderen Seite: Morgen ist Redaktionsschluss. Und wahrscheinlich stimmt es: Wenn Oskar dabei ist, hat Welser mehr Vertrauen. Ich muss es vorsichtig angehen. Ich muss auch versuchen herauszufinden, mit wem er sich gestern im Innenhof getroffen hat.
»Aber sei nett zu ihm«, sagt Oskar, »stelle ihn nicht als Teil der Russenmafia hin. Ich weiß nicht, ob er über so etwas lachen kann.«
Mir fällt etwas ein. »Hast du ihm erzählt, wer ich bin?«
»Ich hab nur gesagt, meine Frau kommt mit.« Das klingt ganz harmlos. Aber Oskar ist klug. Sollte Welser doch etwas wissen, möchte er ihn nicht im Vorhinein verschrecken.
Wir sitzen an einem Ecktisch eines Lokals mit gutem Ruf und einer Haube. Aber ich gebe zu, ausnahmsweise achte ich kaum auf das Essen. Flusskrebstatar, sehr gut, wenngleich die Flusskrebse, wie bei einem Tatar anzunehmen wäre, nicht roh sind, sondern gekocht und klein geschnitten. Mit irgendeinem Schäumchen. Kann mich nicht erinnern, was auf der Karte gestanden ist, und am Geschmack kann ich es nicht identifizieren. Vielleicht irgendetwas mit Sauerampfer:
Universitätsprofessor Welser ist genau so, wie mir Oskar prophezeit hat: etwas schrullig und ziemlich langweilig. Er war schon da, als Oskar und ich gekommen sind. Für einen Moment kam es mir so vor, als sei er erschrocken, wie Oskar mich als »Mira Valensky« vorgestellt hat. Aber wahrscheinlich ist er bloß ein wenig ungeschickt und hat deswegen die Serviette fallen lassen.
Ich hätte nicht gedacht, dass ein Universitätsprofessor so viel redet. Außer in Vorlesungen. Aber dafür wird er ja schließlich bezahlt. Ich habe ihn noch nichts über den Arlberg gefragt. Wir sind gerade beim Thema Rechtsgutachten gelandet.
»Von einem
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