Russisch Blut
Lächeln, das sie, wenn sie Mariechen Weber und fünfzehn gewesen wäre, nicht lange ertragen hätte. Es war das Lächeln der unendlichen Großmut.
»Ich verstehe, Katalina – darf ich Katalina sagen?« Frau Werner hob ihr Glas wieder und leerte es. »Ich werde Ihr Loblied singen. Bei all den Damen und Herren, die vernünftige Ernährung und einen täglichen Marsch mindestens so nötig hätten wie ihre verfetteten Schoßhunde.«
Beim Hinausgehen sah sie Gummistiefel neben der Haustür stehen unter der wetterfesten Jacke am Garderobenhaken.
Als sie das Fahrrad besteigen wollte, meldete sich wieder das Mobiltelefon. Es hörte für den Rest des Tages kaum noch auf zu piepsen. Halb Blanckenburg wollte überprüfen, ob man ihr die geliebten Ponies, Zwergkaninchen, Katzen, Wellensittiche und Reitpferde würde anvertrauen können.
Als Katalina zum Schloß zurückradelte, begannen sich die Wolken vor den Strahlen der Abendsonne aufzulösen. Sie bildete sich ein, daß der grüne Schleier über den Bäumen und Sträuchern in den vergangenen Stunden kräftiger geworden war. Die Hecken aus Schwarzdorn am Straßenrand standen in voller Blüte, es roch nach Wildnis und Tieren. Kurz vor dem Anstieg zum Schloß stieg sie ab und schob.
Blanckenburg unterschied sich nicht von anderen Kleinstädten. Sie würde in Windeseile alles erfahren, was man für berichtenswert hielt – und in manche Geheimnisse eingeweiht werden, für die andere Geld bezahlt hätten. Sie würde mit den Stammbäumen bedeutender und weniger bedeutender Familien der Stadt vertraut sein, mit deren Größe und deren Niedertracht, würde von der Taufe bis zum Grabgang jedes Ereignis im menschlichen Leben aus erster Hand miterleben, würde mitleiden, mitverfluchen, sich mitfreuen und irgendwann wieder fliehen müssen vor soviel Menschlich-Allzumenschlichem.
Katalina Cavic war weder ein halber Mann noch empfindungslos.
Eine Stunde später war sie geduscht und umgezogen und ging zum Traiteurshaus hinüber. Alma hantierte mit Töpfen und Pfannen. Auf dem Sofa in der Wohnküche räkelte sich ein junges Mädchen mit endlos langen Beinen, hielt einen Apfel in der Hand und las eine Zeitschrift, die nach Mode oder Musik aussah. Noa hatte die Größe, ihr verschwörerisch zuzulächeln, bevor sie sich wieder in das Magazin vertiefte.
»Kannst du mal bitte, Noa.« Alma klang – wie die meisten Mütter halbwüchsiger Töchter – nach bis zum Äußersten angespannten Nerven.
»Was ist denn?« murmelte Noa halblaut und biß geräuschvoll in den Apfel.
»Noa!!« Das Mädchen rollte die Augen gen Himmel, sah Katalina mit dem Ausdruck tiefster Erschöpfung an und sammelte ihre langen Gliedmaßen ein, um sich ins Unvermeidliche zu fügen. Katalina hörte nicht hin, während die beiden sich lustlos und routiniert stritten.
Das Traiteurshaus spiegelte etwas vom vergangenen Glanz des Schlosses – selbst in der Küche gab es Stuck an der Decke und Holzvertäfelung an den Wänden. Den Kamin hatte man leergeräumt; wahrscheinlich zog der Schornstein nicht mehr, sonst hätte man das Rohr des Kanonenöfchens nicht zum Fenster hinausgeführt. Über dem Kamin hing ein Gemälde, es zeigte eine Frauengestalt in hellen, fließenden Gewändern. Als sie näher trat, fiel ihr Blick auf die Bibel, die auf dem marmornen Kaminsims lag. Und auf die drei Stiche, die in schmalen Holzrahmen daneben standen.
»Ist nicht viel Übriggeblieben von der alten Herrlichkeit. Die Bibel ist alt, und die Bilder – naja.« Alma setzte eine Schüssel auf den Eßtisch. »Wir haben das meiste auf dem Dachboden gefunden. Alles nix wert.« Dann trat sie neben Katalina.
»Sophie ist sich nicht sicher, aber sie glaubt, das Porträt sei eine mindere Arbeit aus dem 18. Jahrhundert.« Sie seufzte und straffte die Schultern. »Ich stelle mir manchmal vor, es ist die weiße Frau. Die schwangere Gräfin, die im 16. Jahrhundert bei einem Schloßbrand ums Leben gekommen ist und seitdem hier spukt.«
Katalina sah sie von der Seite an. Meinte sie das ernst?
»Na, wenigstens ein Schloßgespenst sollten wir vorweisen können, oder?« Alma wandte sich wieder ab. »Was Handfesteres gibt’s hier nicht. Was die Gräflichen 1945 nicht mitgenommen haben, wurde geplündert – erst von den Amerikanern, dann von den Engländern, zum Schluß von den Russen. Gottlob hatte irgendein DDR-Bonze hier später sein Jagdschloß. Ohne den stünden wir heute noch trauriger da.«
Die Dame in Weiß hielt eine verwelkte Rose in der Hand
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