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Russisch Blut

Titel: Russisch Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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und sah Alma dabei an. »Ich habe es gleich gespürt, gnädige Frau. Hier liegt etwas in der Luft« – er hob die Nase, als ob er den Geist der Geschichte erschnüffeln wollte. »Hier gibt es – Magie.«
    »Wir sprachen gerade darüber, Herr Professor.« Alma klang andächtig. »Von der wechselvollen Geschichte dieses Ortes.«
    »Vom 12. Jahrhundert bis zum Zweiten Weltkrieg«, assistierte Alex. »Da lag ganz schön was in der Luft – ganze Bombergeschwader, zum Beispiel.«
    Der Professor ließ sich von Noa ein Glas Prosecco in die Hand drücken. »Die Menschen bauten schon immer dort, wo sie einen ›spiritus loci‹ verspüren. Auch vor dem 12. Jahrhundert wird dieser Ort hier sein Kraftfeld entfaltet haben. Die Geschichte ist älter und größer, als wir kleinen Geister ermessen können.« Er leerte das Glas und hielt es so lange am ausgestreckten Arm in die Luft, bis Noa endlich begriffen hatte, daß sie nachzuschenken hatte.
    Katalina schielte zur Terrassentür hinaus. Draußen spreizten sich die Pfauen, nickten die rosa Blüten der Zierkirschen in den Blumenkübeln.
    »Also?« Almas Gesicht glühte.
    Sigurd Rust beugte sich vor und deutete mit dem Zeigefinger auf den Fußboden. »Also müssen wir nachschauen!«
    Katalina hätte fast gelacht, als alle Blicke dem Zeigefinger folgten.
    Der Archäologe erging sich in Plänen, die das große Feld bei den Grabsteinen, eine Gruppe junger Studenten und wissenschaftliche Methoden mit unaussprechlichen Namen einbezogen. Die anderen verstummten. Selbst Alex Kemper schien zuzuhören. Nach einer Weile verlor sich der spöttische Zug auf seinem Gesicht.
    Katalina gab es auf, irgend etwas verstehen zu wollen. Sie beobachtete Moritz Bergen, der noch immer Zeus’ Ohren kraulte und dessen Gesicht eine Art widerwillige Bewunderung erkennen ließ. Entweder fand er, daß Rust ein Scharlatan war. Oder er steckte mit ihm unter einer Decke. Ihr Blick wanderte hinaus in den sonnendurchfluteten Garten, durch den die Hummeln schwärmten. Erst als Klara Buddensen ihre Stimme erhob, sah Katalina wieder auf.
    »Ich möchte nur eines dazu anmerken. Mehr steht mir nicht zu.« Die Pastorin übertönte mühelos alle anderen.
    »Dort, wo Sie offenbar Ihre Sonde ansetzen wollen, Herr Rust« – sie nickte dem mittlerweile ziemlich betrunken wirkenden Rust zu – »liegen die Trümmer der alten Schloßkirche. Deren Fundamente reichen bis ins 13. Jahrhundert zurück. Und wahrscheinlich würden Sie darunter nur die Krypta finden – mit den Gräbern von Äbten, Bischöfen und derer von Hartenfels zu Blanckenburg.«
    »Mir ist das egal.« Alma hörte sich nicht an, als ließe sie sich von einem Plädoyer für ungestörte Totenruhe beeindrucken. »Was wir brauchen, ist Geld für die Sicherung des Schlosses – auch wenn wir dadurch die Grabruhe einiger vermoderter Knochen stören.«
    »Malerisch über den Schatz der Nibelungen gebreitet«, sagte Alex.
    Die Umstehenden waren verstummt. Deshalb hörte man umso deutlicher, wie Erin »Ich kann das Wort Schatz nicht mehr hören« zischte und den Raum verließ.
    Die Pfarrerin war weiß im Gesicht geworden. »Frau Franken«, sagte sie mit fester Stimme. Katalina konnte sich mittlerweile vorstellen, wie das klang, wenn die Frau in einer vollbesetzten Kirche von der Kanzel herab mit den Sündern abrechnete. »Sie haben dieses Schloß nicht ererbt. Sie sind Nutznießer der Tatsache, daß man die rechtmäßigen Besitzer nach 1945 um ihr Eigentum gebracht hat. Ich – finde es unfein, wie Sie aus den Trümmern einer großen Vergangenheit Geld herauspressen wollen, koste es, was es wolle.«
    Und dann wurde ihre Stimme ganz leise. »Folkert von Hartenfels zu Blanckenburg ist 1944 von den Nazis aufgehängt worden, weil er an einer Verschwörung gegen Hitler beteiligt war. Das ist Geschichte, an die man erinnern sollte. Auch wenn es die Touristen nicht so interessieren dürfte wie ein Römerhelm.«
    Klara Buddensen folgte Erin. Aber sie ging nicht leise, bescheiden und achselzuckend, sondern mit der Bühnenpräsenz einer Brunhilde. Katalina sah in die erstaunten Gesichter der Anwesenden, in das verblüffte Kempers, das schockierte Sophies, das ungläubige Almas. Und plötzlich war sie dankbar für diese Verteidigung einer Tradition, die ihr eigenes Vorstellungsvermögen weit übertraf.
    Draußen schrie ein Pfau. Katalina sah das Haus vor sich, in dem sie ihre Kindheit verbracht hatte, zusammen mit ihrem jüngeren Bruder Milo und den Großeltern. Wie armselig es

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