Russische Freunde: Kriminalroman
im Wald gewesen, war tagelang im Ödwald bei Sortavala und an den Buchten des Ladogasees herumgestreift. Später, als ich Sportler wurde, waren die langen Trainingsläufe auf Skiern ein seltsamer Genuss gewesen, eine fast liebkosende, gleichmäßige Ermüdung in der Dämmerung, die sich über dem weißen Schnee nie in völlige Dunkelheit verwandelte. Und bei der Spezialausbildung der Armee hatte ich die Gewissheit erlangt, dass mich im Gelände niemand einholte. Oder tötete.
Ich trug einen Anorak, eine blaue Hose und Lederschuhe. Wie ein Jogger sah ich nicht aus, und zum Gassigeher fehlte mir der Hund. Vorsichtshalber stemmte ich die als Gewicht dienenden Holzklötze einige Male hoch und machte Bauchmuskelübungen.
Auf der Aschenbahn näherte sich ein Mann. Er trat fest und gewichtig auf, schien vor jedem Schritt zu überlegen. Seine Laufhose war bis zu den Knien hochgekrempelt. Der Mann trug eine Regenjacke und eine am Gesicht anliegende Sonnenbrille, wie sie im TV -Shop angeboten wurden. Er blieb am Hebeblock stehen, schob die Schuhsohlen vor und zurück, bis er die richtige Position gefunden hatte, und stemmte das Gewicht dreimal hintereinander mit einem Arm. Dann hängte er ein Mountainbike, das neben der Halterung stand, als Extragewicht an den Balken und stemmte ihn ächzend noch einige Male.
Der Mann stellte das Rad sorgfältig zurück, rollte die Hosenbeine fester auf und setzte seinen Lauf fort. Seine schweren Schuhe dröhnten über den Pfad. »Laufrichtung«, wieherte er zum Abschied und deutete auf ein Schild, auf dem ein Pfeil anzeigte, in welcher Richtung man die Runde zu drehen hatte.
Ich wartete, bis der Mann hinter der nächsten Kurve verschwunden war, und ging dann weiter. Zwei Frauen kamen mir entgegen, in Röcken, die Hände in die Hüften gestemmt. Sie gingen dicht nebeneinander, und im Vorbeigehen grüßten sie unüberhörbar: » Dobryj den .«
7
Ich saß in meiner neuen Industriehalle auf der restaurierten Vorderbank meines alten Wolga. Innen war der Wagen bereits repariert, hatte sogar den Originalgeruch, aber das Getriebe war immer noch ausgebaut und wartete auf neue Ersatzteile. Seltsam, überlegte ich, man setzt sich instinktiv ans Steuer, selbst wenn der Wagen drinnen steht und nicht fahrtüchtig ist. Gleichzeitig gab ich Aleksej per Handy klare Anweisungen:
»Du nimmst Marja für die Nacht mit zu euch. Schließt die Türen ab! Am Morgen fahrt ihr los. Du begleitest Marja bis nach Hause. Ich meine, bis in ihr Elternhaus. Nein, da warst du noch nie, aber Marja kann dir ja wohl sagen, wie du fahren musst. Du bringst sie bis ins Haus und siehst zu, dass sie dort bleibt.«
Mein Bruder versicherte mir, er habe verstanden. Marja sei praktisch schon zu Hause, melke die Kühe und backe mit ihrer Mutter runde Brote.
»Aljoscha, kümmere dich um die Angelegenheit. Ich verschwinde eine Weile. Wenn du gefragt wirst, kannst du ehrlich antworten, dass du nicht weißt, wo ich bin. Lass mich noch kurz mit Marja reden.«
»Was?«, eröffnete Marja das Gespräch eisig.
»Marja, es geht hier um eine Scheißgeschichte, um eine verworrene alte Sache. Ich kläre das«, versuchte ich sie aufzuwärmen. »Aleksej bringt dich zu deinen Eltern, sicherheitshalber. Sag deinem Arbeitgeber, deine Oma wäre gestorben oder du hättest ein Winterekzem oder müsstest auf eurem Hof die Heuschrecken vertreiben. Aber bring dich um Himmels willen in Sicherheit.«
»Hör mal, Viktor. Deine Scheißgeschichten interessieren mich einen feuchten Dreck. Und fang um Himmels willen nicht an, zu erklären und zu lügen. Ich dachte, deine Geschäfte wären legal, wenigstens zum größten Teil, aber Pustekuchen, du Arsch mit Ohren! Du hast unser Haus verbrannt, oder jedenfalls ist es deine Schuld, dass es abgefackelt wurde. Für solche Streichholzspiele bin ich zu alt.«
Marja fauchte ins Handy, sie hatte plötzlich eine spitze Zunge.
»Kapierst du, mein Forschungsbericht lag da, und massenhaft Material war auf dem Computer auf unserem Tisch in unserem verdammten Haus, das jetzt verdammt noch mal Asche ist, aber ohne Diamanten …« Sie lachte halb über ihren Ausbruch. »Aber den Sachen wein ich nicht nach, Viktor. Oder den Berichten. Was soll’s, am Arbeitsplatz hab ich frühere Versionen und Entwürfe. Ich bin vor allem traurig über das, was aus dir geworden ist. Ich vermisse den alten Viktor«, fuhr Marja fast sachlich fort, als spräche sie über die Tagestemperatur und über das Notizbuch, in das sie von Jahr zu
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