Russische Freunde: Kriminalroman
willkommen. Ich hab mich vor zwanzig Jahren mit meinem Alten überworfen. Wir sind immer noch über Kreuz.«
Er stieg aus, machte seiner Zigarette mit dem Absatz den Garaus und blieb stehen, die Ellbogen auf das Autodach gestützt.
»Weiter geht’s. Genug Nostalgie für heute«, brummte er schließlich.
Er fuhr auf dem gleichen Weg zurück, warf nur einen kurzen Blick auf sein Elternhaus und biss sich auf die Lippen. Auf dem Hof rührte sich nichts, nicht einmal Wäsche flatterte im Wind. Die dunklen Fenster des Hauses starrten uns nach.
Ich stellte keine Fragen, aber Korhonen erzählte von sich aus, wir würden ein mustergültiges Nachtquartier in einem Feriendorf bekommen, das seinem Onkel gehörte. Die ganze Gegend sei voll von Korhonens, behauptete er, die ihren berühmten Verwandten gern beherbergen würden. Wir würden gut essen, in die Sauna gehen und ein paar Bierchen trinken, vielleicht auch den Tanzboden unsicher machen. Die Bezeichnung Feriendorf sei eigentlich eine Untertreibung, prahlte er, eher handle es sich um ein gut ausgestattetes Freizeitzentrum, einen Funpark für Erwachsene. Ich seufzte schwer, doch Korhonen sagte, ich solle nicht dauernd mosern.
»Ich sehne mich wirklich hierher zurück, vor allem jetzt im Sommer.« Korhonen musste fast brüllen, um das Orchester zu übertönen. »Gut, ich musste als Kind hart arbeiten und kämpfen, aber im Sommer war es immer heiß. Und unter dem Dach im Speicher lagen alte Illustrierte und Jawa-Ersatzteile, und morgens kam Oma mich wecken, die Melkmaschine brüllte, und Mutter klapperte mit den Milchkannen. Ach so, bei euch gab’s wohl keine Alfa-Laval. Die Agrartradition ist dir eher fremd, nehme ich an.«
Die Musik setzte überraschend aus, sodass die letzten Worte laut über die runde Tanzfläche schallten.
»Meine Mutter war Hauptbuchhalterin auf einer Kolchose. Über Viehzucht weiß ich schon das eine oder andere«, berichtigte ich ihn.
»Na schön, dann war sie eben Inseminatorin oder Kuhschwanzhalterin, egal«, wischte Korhonen meinen Einwand beiseite und setzte seinen Monolog fort. »Ich hab mir manchmal ausgemalt, wieder hierherzuziehen. Wenn ich mich mit meinem Vater aussöhnen würde … na ja, das bringt die Natur sowieso bald in Ordnung, er ist schon ein alter Mann. Aber ich kann meine Familie nicht herbringen. Bibi würde sich beklagen, weil sie mit niemandem Schwedisch sprechen kann und alles so primitiv ist, die Gören würden jammern, hier gibt’s nichts zu tun und die Mücken stechen und an den Grashalmen schneidet man sich.«
Die Musik setzte wieder ein und legte sich über Korhonens Jeremiade. Ich fing nur hier und da einzelne Wörter auf. Korhonen schimpfte offenbar über die hässlichen neuen Häuser und die riesigen modernen Kuhställe, warf mir einen Blick zu und stellte Vergleiche mit der Produktionsarchitektur der Sowjetzeit an. Ebenso vehement verurteilte er die großen Traktoren, die die Äcker steinhart walzten, und die gierige Intensivforstwirtschaft. Noch widerwärtiger seien allerdings deren Gegner, die Köttel von Flughörnchen in der Gegend verstreuten.
Wir hatten eine kleine Ferienhütte als Nachtquartier bekommen. Das Ufergrundstück war übersät mit diesen Blockhäuschen, in gleichmäßigem Karomuster angeordnet, jeweils mit einigen Metern Abstand zum Nachbarhaus. Der Komplex wirkte wie das Miniaturmodell einer Gartenstadt. Jedes Sommerhaus stand präzise in der Mitte seines Minigrundstücks, die Wege waren sauber mit Kies bestreut und begrünt war das Ganze mit Lineal und Wasserwaage.
Korhonen hatte dafür gesorgt, dass wir die Hütte umsonst benutzen durften. Die Frau seines Onkels hatte die Betten bezogen, uns den Schlüssel zur Sauna am Seeufer gegeben und sich dafür entschuldigt, dass sie uns für Essen und Trinken etwas berechnen müsse. Wir hatten in der Sauna geschwitzt und waren im See geschwommen, obwohl das Wasser an den tieferen Stellen noch kalt war. Korhonen hatte sich zuerst gesträubt und erklärt, er habe nicht die Angewohnheit, zwischen Eisschollen zu planschen, und Eislochangeln sei ihm auch zuwider.
Das Büfett war schon abgeräumt, aber wir luden uns in der Küche Piroggen und Roggenbrot und Rohkost und Kartoffeln und Karelischen Fleischtopf aufs Tablett. Wir nahmen auch von der Kaltschale, die Korhonen als Hängolin-Pudding bezeichnete. Als er meinen verständnislosen Blick bemerkte, klärte er mich auf.
Ich aß mit gutem Appetit. In der Sauna hatte ich gemerkt, dass mir leicht
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