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Russische Freunde: Kriminalroman

Russische Freunde: Kriminalroman

Titel: Russische Freunde: Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matti Rönkä
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mit den Budo-Sportarten, oder?«, redete Korhonen weiter. Er schien wieder bei Verstand zu sein.
    Das Fernsehbild flimmerte körnig. Portugal drängte heftig nach vorn, und die russische Verteidigung unternahm einen kopflosen Versuch, die Situation zu retten.
    » Bardak «, wetterte Medwedkin, hielt den Atem an und pfiff erleichtert, als der Innenverteidiger den Ball aus dem Strafraum über die Torlinie kickte.
    »Ihr habt euch lange unterhalten«, sagte Korhonen, ohne sich aufzusetzen oder den Bildschirm aus den Augen zu lassen.
    »Wir sind alte Bekannte.«
    »Erzähl mir bloß nicht, dass ihr in jungen Jahren miteinander Schach gespielt habt. Und abends habt ihr Tee getrunken, habt alle in Okas Zimmer zusammengesessen, und der Samowar brodelte, und es war gemütlich, während ihr Texte aus der Literatur deklamiert habt.«
    »Nein«, entgegnete ich, dachte allerdings, eigentlich war es beinahe so.
    Ich forderte Korhonen auf, schlafen zu gehen, denn wir mussten am nächsten Morgen früh aufstehen und handlungsfähig sein.
    »Ja, ja«, nickte Korhonen, machte aber keine Anstalten, sich von seinem Sessel zu erheben. »Aber man beachte, mir wird wieder mal absolut gar nichts verraten. Na, das ist das Los des Stoppelhopsers«, seufzte er, brachte ein Gliedmaß nach dem anderen in Position und stand auf wie eine Giraffe.
    Medwedkin hatte uns unser Nachtquartier gezeigt. Es befand sich im Erdgeschoss des Kulturhauses, ein hoher Raum mit zwei Betten und einem Kleiderschrank aus poliertem Holz. Zum Zähneputzen gingen wir quer über den Flur in einen hallenden Waschraum. Korhonen stellte erfreut fest, dass die türlose Toilette mit einer richtigen Kloschüssel ausgestattet war und nicht nur aus einem Loch im Boden bestand. Er pinkelte ausgiebig, hielt mir einen Vortrag über perlenden Morgenurin und über die segensreiche Wirkung des Vollrauschs, der den ganzen Organismus reinige.
    »Es ist wie Fasten«, resümierte er. »Letzten Endes nicht nur eine körperliche, sondern auch eine geistige Reinigung. Hattet ihr bei euren Skiwettkämpfen Wodkatage? Die gab es angeblich bei den sowjetischen Eishockeyspielern. Meistens vor dem Spiel gegen Japan oder dergleichen. Nachträgliche Grüße und eine höfliche Entschuldigung an die ausdauernden Kämpfer, die Samurais der Eishockeybahn im Lande der aufgehenden Sonne«, schloss er im Tonfall eines Sportreporters.
    Ich sagte ihm, er solle seine Vergeistigung still für sich betreiben. Doch er meckerte immer noch, als er schon im Bett lag, wies mich ausdrücklich darauf hin, dass das Kioto-Protokoll auch Emissionen in geteilten Schlafzimmern betraf. Schließlich drehte er sich zur Wand, klopfte das Kopfkissen zurecht und verstummte.
    Draußen dämmerte es kaum. In Helsinki war es viel dunkler. Ich überlegte, welchen Teil des Himmels man dort sah und was man eigentlich betrachtete, wenn man glaubte, in die Leere des Alls zu starren. Aber dort gab es ja auch Fixpunkte, Sterne und Sternenbilder, zumindest bei klarer Sicht.
    Ich wusste sehr wohl, dass mein Geist mit aller Macht versuchte, mich von Kummer und Furcht abzulenken. Er kramte trigonometrische Funktionen und physikalische Gesetze, deutsche Wortketten und wissenschaftliche Pflanzennamen aus der Erinnerung hervor. Meine Gedanken wanderten zu Marja. Ich fragte mich besorgt, ob sie wirklich bei ihren Eltern geblieben war, und versuchte mich zu erinnern, ob die Bauzeichnungen verbrannt waren oder auf dem Rücksitz des Mercedes gelegen hatten. Die Brust wurde mir eng, als ich mich korrigierte: Die Papiere spielten keine Rolle mehr, ein abgebranntes Haus konnte man nicht vergrößern. Ich hatte kein Zuhause mehr, und wie es mit Marja weitergehen würde, wusste ich auch nicht.
    Aber ich war imstande, mir auszurechnen, dass seit dem Feuer erst drei Tage vergangen waren. Ich war weit gekommen, umkehren konnte ich nicht.
    Oka war im Kinosaal des Kulturhauses geblieben, hatte allein in der Mitte der sechsten Reihe gesessen, auf einem roten Plüschsitz. »Mein Lieblingsplatz«, hatte er gesagt und dem Filmvorführer ein Zeichen gegeben. Das Licht war ausgegangen, nicht langsam gedimmt, sondern auf einen Schlag. Der Projektor hatte zu surren begonnen, und seine Lampe hatte einen grauen Trichter in die Dunkelheit geworfen, in dem Staubflöckchen schwebten.
    An der Tür hatte ich mich noch einmal umgedreht. Ziffern flimmerten über die Leinwand, dann erschien das vertraute Markenzeichen des Mosfilm-Studios, Muchinas Statue eines Arbeiters und

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