Russische Orchidee
unbekannten Adelsfräuleins in die Hände geraten ist, das im Magazin eines kleinen Heimatmuseums herumlag, haben sich unsere Chancen, die Brosche zu finden, nicht im geringsten verbessert.«
Wie damals, vor einem Jahr, als sie dieses Gespräch belauschte, fühlte sich Warja auch jetzt, als sie das Bild betrachtete, ein wenig gekränkt, nicht nur für sich, sondern auch für das Mädchen auf dem Porträt.
»Tja, meine Liebe, alle interessieren sich nur für den teuren Klunker, der Künstler genauso wie mein Malzew, und wir beide, wie schön wir auch sein mögen, sind allen schnuppe.«
Sie ließ sich auf dem Sofa nieder, trank den kalten Tee aus, knabberte emsig wie ein Eichhörnchen die gerösteten Mandeln und konzentrierte sich endlich auf die Geschichte des Frühmittelalters.
Kapitel 24
Irina Paurier ging so sehr in den häuslichen Sorgen auf, dem Umbau des Hauses und der Überwachung der gewissenlosen, diebischen Dienerschaft, daß sie darüber sogar ihre Eifersucht vergaß. Die Wendungen im Leben ihres Mannes riefen kein besonderes Interesse bei ihr hervor, und von seinen Moskauer Abenteuern erzählte ihr der Vater wohlweislich nichts. Daß der Graf den Dienst quittiert hatte, begrüßte sie, allerdings eher matt: »Gott sei Dank, Michail. Wozu solltest du dir auch in diesem Ministerium den Hosenboden durchscheuern, wenn es im Haus so viel zu tun gibt, daß ich es allein nicht schaffe.«
Von morgens bis abends war Irina mit wichtigen Dingen beschäftigt. Sie zählte die Bettwäsche und die Silberlöffel nach, inspizierte den Zustand des chinesischen Kaffeeservices, erörterte stundenlang alle Einzelheiten des Mittagsmenüs, probierte vom Borschtsch und vom Hackfleisch.
Der Graf wußte sehr genau, daß sein Leben vorbei war. Jeden Morgen konnte er sich davon aufs neue überzeugen, wenn er seine Frau im Morgenmantel und mit Lockenwicklern erblickte. Irina gähnte laut und schlurfte durch die überheizten Zimmer des Hauses.
»Ich erinnere mich genau, daß in der Kaffeemühle nochgemahlener Kaffee war, und du schüttest schon wieder neue Bohnen hinein!« schrie sie die Köchin an. »Und das soll Sahne sein? Die ist ja ganz blau, nichts als Wasser!«
Ihre hohe, erstaunlich laute Stimme gellte dem Grafen schmerzhaft in den Ohren.
Beim Frühstück verschlang sie gekochte Eier, Fleischwurst und süße Semmeln mit Butter und trank den Tee aus der Untertasse, wobei sie ihren rundlichen kleinen Finger abspreizte und laut schlürfte. Ihr Gesicht lief rot an, über der Oberlippe standen kleine Schweißperlen und glitzerten in ihrem dunklen Schnurrbart. Der Graf kaute auf trockenem Weißbrot herum, trank dazu dünnen Kaffee und bemühte sich, den Blick nicht von der Zeitung zu heben, sah aber trotzdem anstelle der Zeilen immer das riesige, purpurrote, schweißglänzende Gesicht seiner Gattin vor sich, das das gesamte Eßzimmer auszufüllen schien.
Manchmal fuhren sie zusammen nach Moskau, aber ausschließlich, um wichtige Einkäufe für die Hauswirtschaft zu erledigen. Vom Theater, vom Kinematographen, von Kunstausstellungen wollte Irina nichts hören, klagte dann nur ausgiebig über den Verfall der Sitten, über die allgemeine Gottlosigkeit und Unzucht. Der bloße Klang ihrer Stimme reizte den Grafen derart, daß er es vorzog, allem Unsinn, den sie faselte, zuzustimmen und allem auf der Welt zu entsagen, damit sie nur endlich still war.
Der einzige Freund des Grafen war der Besitzer des Nachbargutes, Konstantin Wassiljewitsch Baturin, ein verarmter Adliger von fünfundvierzig Jahren, Doktor der Medizin, ein schweigsamer, melancholischer Mensch, der das Schachspiel und den Kirschlikör über alles liebte.
Seit vielen Jahren war Konstantin Baturin nicht mehr ausgefahren, hatte mit niemandem Umgang außer mit seiner alten Mutter und seinem treuen Gehilfen, dem FeldscherSemjon Kusnezow, mit dem gemeinsam er die Bauern in den umliegenden Dörfern kurierte.
Seine Frau war am Kindbettfieber gestorben und hatte ihm eine Tochter, Sonja, hinterlassen. Das Mädchen ging in Moskau zum Gymnasium, wohnte dort bei einer entfernten Verwandten und kam nur in den Schulferien auf das Gut. Sobald sie erschien, blühte der Doktor auf.
»Du mußt etwas Vernünftiges tun, Michail, alle Krankheiten kommen vom Nichtstun, das sage ich dir als Arzt«, belehrte er den Grafen, wenn sie nach dem Mittagessen im Baturinschen Eichenwäldchen in dem steinernen Gartenpavillon vor dem Schachbrett saßen.
»Aber was denn, Konstantin? Ich kann
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