Russische Orchidee
ein Souvenir!« rief die Gräfin erfreut. »Puis-je le voir?« Sie zog mit dem Fingernagel an dem groben Faden, mit dem der Beutel zugenäht war.
»Mais c’est un diamant! Das ist ja ein Diamant, und was für ein großer! ’ast du gestohlen le diamant in der Mine?«
»Nein, Euer Erlaucht. Ich habe ihn nicht gestohlen. Unsere Henne hat ihn gelegt!«
»La poule? Impossible!«
Unverzüglich wurden der Graf und der MineralogeSchmidt als Experten und Schiedsrichter herbeigerufen. Schmidt untersuchte den Kristall und erklärte dann, der Stein habe nicht weniger als vierzig Karat, sei von erstaunlich hoher Reinheit, völlig ohne Makel, und was die Geschichte mit dem Huhn anginge, so sei sie vermutlich die Wahrheit.
Hühner fressen harte Körner. Steine in ihrem Magen fördern die Verdauung, deshalb picken sie gern Steine auf, ganz gleich, was für welche.
Das nützen die Arbeiter in den Minen aus, um Diamanten herauszuschmuggeln. Ein Kollege hatte Schmidt die Geschichte vom florierenden »Hühner-Diebstahl« in der berühmten Smaragdmine Chivor in Kolumbien erzählt. Die indianischen Arbeiter baten um die Erlaubnis, ein paar Hühnchen mit zur Arbeit nehmen zu dürfen, angeblich um sie mit ihren Essensresten zu füttern. Die Hennen pickten friedlich in der Mine, so lange, bis einem der Aufseher auffiel, mit welchem Appetit die Tiere Steine aufpickten. Man hielt die Arbeiter, die an diesem Tag von der Mine nach Hause wollten, fest, schlachtete die Hühner und nahm sie aus. Ihre Mägen waren vollgestopft mit den prächtigsten Smaragden.
»Les poules! C’est magnifique!« rief die Gräfin.
»Warum haben Sie uns davor nicht früher gewarnt, Monsieur?« fragte der Graf den Mineralogen unzufrieden.
Pawlik Popow wurde mit einem verbundenen Knie und zehn Rubel im Brustbeutel nach Hause in sein Dorf geschickt. Die Gräfin entschied, daß in ihrer Sammlung kostbarer Edelsteine dieser Diamant der interessanteste sei, mit einem so ungewöhnlichen und geheimnisvollen Schicksal. Solchen Diamanten pflegt man einen Namen zu geben. Zuerst wollte sie ihn »La poule«, »Die Henne«, nennen, aber dann fand sie, das klinge zu grob und es sei besser, wenn der Stein den Namen des Jungen trage – »Pawel«.
Der Graf ordnete an, alle Hühner vom Gebiet der Mine zu verbannen, und der Mineraloge Schmidt schrieb diese Geschichte in sein Tagebuch.
Natascha wartete auf das Klingeln an der Tür wie auf einen Schuß in den Rücken, lief in der Wohnung umher, von Zimmer zu Zimmer, von einer Ecke in die andere, als suche sie einen Ort, wo sie sich vor dem Untersuchungsführer, der jeden Moment kommen mußte, verstecken könnte. Sie hatte panische Angst davor, etwas Falsches zu sagen. Der Untersuchungsführer war bestimmt so ein widerliches Ekel, das nur darauf aus war, den Fall möglichst schnell dem Gericht zu übergeben, und dem es völlig egal war, wie es Sanja im Gefängnis erging und was aus ihr und dem Kind wurde.
Sie merkte nicht, daß sie immer noch Stiefel und Jacke anhatte. Sie zitterte vor Kälte, obwohl es in der Wohnung sehr warm war.
Ich darf nichts über Muchin sagen, hämmerte es in ihrem Kopf, vielleicht sind er und Sanja Komplizen. Womöglich hat er mich deswegen gebeten, gerade Muchin anzurufen? O mein Gott! Glaube ich etwa schon wirklich, mein Sanja könnte einen Menschen ermordet haben?
Sie blieb wie angewurzelt mitten im Zimmer stehen, starrte in den Spiegel, der über dem Sofa hing, und erkannte sich im ersten Moment selbst nicht wieder. Ein bleiches, fast schon bläulich verfärbtes Gesicht, irre rote Augen, eine verquollene rote Nase, aufgelöste Haare. Eine richtige Hexe. Die Frau eines Mörders.
Übrigens hatte sie Artjom Butejko nie gemocht, er hatte eine erstaunliche Begabung dafür, alles in den Dreck zu ziehen. Sie hatte nie begriffen, wie Sanja mit ihm verkehren konnte. Sie wußte, Artjom hatte alle möglichen Geschäftsverbindungen,Sanja hatte mit seiner Hilfe irgendwelche Werbeaufträge an Land gezogen. Wenn Butejko zu ihnen nach Hause gekommen war, hatte er ihr immer irgend etwas Unangenehmes gesagt, zum Beispiel, sie habe zugenommen oder sähe gealtert aus. Es war zwar dummes Zeug, aber trotzdem verdarb es ihr die Stimmung.
Es klingelte an der Tür. Natascha zuckte zusammen, rannte in die Diele, warf die Jacke ab und wollte sich die Stiefel ausziehen, aber der Reißverschluß klemmte. Sie riß mit aller Kraft daran und brach sich den Fingernagel bis aufs Fleisch ab. Als sie sah, wie das Blut unter
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