Russische Orchidee
Zeit, als er zuletzt das Haus verließ, die Pistole schon gar nicht mehr in der Schublade lag.«
Natascha berichtete verworren, aber sehr detailliert von der Fete, bei der Sanja zum letzten Mal seine Waffe vorgeführt hatte, und von Muchin, den ihre Mutter vor zwei Tagen hier an der Haustür getroffen hatte. Sie wiederholte sogar die Worte, die Sanja ihr auf dem Revier aus dem »Affenkäfig« zugeschrien hatte.
»Übrigens hat Muchin ihn an dem betreffenden Tag morgens angerufen, ich glaube, er sollte sich mit ihm und noch jemand anderem am Abend treffen«, erinnerte sie sich, »ja,natürlich! Mit Klim! Deshalb haben wir uns ja noch gestritten. Als er sagte, er ginge zu einem Treffen mit Klim, dachte ich, er lügt.«
»Warum?«
»Wissen Sie, Klim ist so eine mythische Figur. Wowa Muchin erzählt ständig irgendwelche phantastischen Geschichten über ihn. Man kann sich unmöglich vorstellen, daß ausgerechnet Wowa einen solchen Bekannten hat.«
»Und den Nachnamen dieses Klim hat Muchin nicht genannt?«
»Ich glaube, mit vollem Namen heißt er Ernest Klimow und ist Deutscher. Millionär, Superman, Frauenheld.« Natascha lächelte spöttisch. »Ich hatte immer das Gefühl, Wowa schilderte ihn einfach, wie er selbst gern wäre. Sanja hat ihn wiederholt gebeten, ihn mit diesem Klim bekannt zu machen, und Wowa hat sich immer neue Ausreden ausgedacht, warum es nicht geht, und so hat diesen Klim niemand je gesehen. Aber dann hat Wowa plötzlich angerufen und gesagt, Klim wolle sich mit ihm treffen, angeblich, um ihm irgendwelche geschäftlichen Angebote zu machen. Ich habe Sanja kein Wort geglaubt. Ich dachte, Wowa will ihn bloß zu irgendwelchen Weibern schleppen, in die Sauna oder so.«
»Haben Sie ihm gesagt, daß die Pistole nicht mehr in der Schublade lag?«
»Ich wollte es, habe es dann aber vergessen.«
»Aha. Und als Sie aufs Revier kamen, hat er Sie gebeten, erstens Muchin anzurufen und zweitens nachzuprüfen, ob in dem Schmuckkästchen die Schachtel mit den Patronen liegt. Haben Sie das getan?«
»Nein. Zuerst wollte ich es tun, aber dann habe ich mir überlegt, daß Muchin vielleicht irgendwie in die Angelegenheit verwickelt ist und ich auf diese Weise nur alles verderbe. Sanja erinnert sich ja an nichts.«
»Und die Patronen?«
»Dazu bin ich noch gar nicht gekommen.«
»Wann haben Sie denn das letzte Mal in das Schmuckkästchen geschaut?«
»Vor sehr langer Zeit. Wir bewahren darin wertvollen Schmuck auf, und wann kann ich den schon tragen? Beim Einkaufen oder beim Kinderarzt wohl kaum.«
»Nun, dann lassen Sie uns doch gemeinsam nachsehen.«
»Können Sie auch Fingerabdrücke vom Schmuckkästchen abnehmen und von der Schublade, in der die Pistole lag?«
»Natürlich. Ich schicke noch heute einen Mann von der Spurensicherung zu Ihnen. Aber trotzdem wollen wir erst einmal nachschauen, ob die Patronen noch an Ort und Stelle sind. Machen Sie sich keine Sorgen, ich gehe ganz behutsam vor.«
In dem Perlmuttkästchen fanden sich keine Patronen. Der Ring der Urgroßmutter war ebenfalls nicht mehr dort. Verschwunden waren auch die Smaragdohrringe, das Goldkettchen, das goldene, mit grüner Emailarbeit verzierte Armband. Nur der billige Silberschmuck war noch vorhanden.
Kapitel 9
Warja betrat langsam das halbdunkle Restaurant, ließ ihren Blick gleichgültig über die Gesichter gleiten, lächelte einigen Bekannten zu und grüßte mit einem Kopfnicken den Besitzer des Etablissements, Stanislaw Ruslanowitsch Tibolow, kurz Stas genannt.
Der ehemalige Europameister im Fünfkampf war nach einer Verletzung zuerst unter die Banditen gegangen, hatte dann eine vergleichsweise kurze Strafe abgesessen und nach seiner Freilassung ein Restaurant eröffnet, das er nach sichselbst benannt hatte: »Stas« oder kurz »ST«. Ziemlich rasch war es zu einem der prestigeträchtigsten Treffpunkte in Moskau geworden, einem elitären, nur Mitgliedern zugänglichen Club. Hier gab es die besten Köche, die hübschesten Tänzerinnen und einen äußerst wachsamen Sicherheitsdienst.
Wenn er jetzt auf mich zukommt, mir die Hand küßt und mich persönlich an einen Tisch führt, heißt das, alles ist gut, dachte Warja und blickte Stas gespannt an. Er saß an einem der Tische und plauderte mit dem aufgehenden Schlagersternchen Katja Krasnaja. Warja hatte er sofort bemerkt, nickte ihr aber nur freundlich zu, lächelte und setzte seine Unterhaltung mit der Sängerin fort.
Na, wenn schon, sagte sich Warja, noch ist nicht aller Tage
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