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Russische Orchidee

Russische Orchidee

Titel: Russische Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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Ja natürlich, der Ring! Der alte Ring ihrer Urgroßmutter mit dem großen Smaragd. Sie stürzte zur Kommode, auf der ihr Schmuckkästchen stand. Dann fiel ihr ein, daß Sanja sie gebeten hatte nachzusehen, ob darin auch die Patronenschachtel für die Walter lag. Er hatte gesagt, sie dürfe das Schmuckkästchen nicht berühren, sondern müsse es ganz vorsichtig mit einem Messer öffnen.
    Gut, dachte sie, das hat noch Zeit. Zuerst muß ich das Hauptproblem lösen. Das Geld für den Anwalt. Außer dem Ring habe ich noch die Smaragdohrringe, sie sind sehr wertvoll, dann das Goldkettchen und das Armband. Fünftausend kriege ich auf diese Weise natürlich nicht zusammen, aber vielleicht zwei. Allein der Ring dürfte mindestens tausend wert sein, schließlich ist er antik, mit einem großen Stein und Brillanten. Ich darf bloß nicht auf irgendwelche Halsabschneider hereinfallen, sondern muß mir von einem Spezialisten Rat holen und den tatsächlichen Wert feststellen lassen.
    Natascha kehrte in die Küche zurück, blätterte wieder in Sanjas Notizbuch und versuchte sich zu erinnern, wer vonihren Bekannten etwas von Juwelen verstand. Und da fiel es ihr wieder ein. Sanja hatte einmal erzählt, daß der Vater von Artjom Butejko früher in einem Juweliergeschäft als Graveur gearbeitet hatte.
     
    Während er in der Diele den Mantel anzog, summte Borodin leise, ohne es selber zu merken, die Romanze »Der weißen Akazie duftende Blüten« vor sich hin. Jelena Butejko war in der Küche beschäftigt. Er wollte ihr schon einen Abschiedsgruß zurufen, da klingelte das Telefon.
    »Ja, ich höre«, sagte die Butejko mit einem tiefen Seufzer. »Wer spricht da? Natascha? Welche Natascha?«
    Borodin erstarrte und lauschte. Ein paar Sekunden war es still, dann plötzlich ertönte ein Schrei: »Was denn, sind Sie verrückt geworden? Ist Ihnen klar, mit wem Sie reden? Sie besitzen die Frechheit, noch zu fragen, was los ist? Ihr Mann hat meinen Sohn ermordet! Wagen Sie nicht, noch einmal hier anzurufen!« Jelena Butejko warf den Hörer so heftig auf, daß das Telefon ein klägliches Klirren von sich gab.
    »War das die Frau von Anissimow?« Borodin kam mit einer für sein Alter und seine Statur erstaunlichen Geschwindigkeit in die Küche gesaust.
    »Ich bin nicht verpflichtet, Ihnen zu antworten«, sagte die Butejko leise und vollkommen ruhig, aber in ihren Augen sah Borodin eine so schreckliche, animalische Furcht, daß er unwillkürlich Mitleid mit dieser seltsamen Frau bekam.
    »Wovor haben Sie solche Angst?«
    »Lassen Sie mich in Ruhe, und gehen Sie endlich!« schrie sie ihm ins Gesicht, wandte sich dann sofort ab und schlug den Blick nieder.
    »Glauben Sie mir, Ihnen wäre bedeutend leichter, wenn Sie sich entschließen könnten, mir alles zu erzählen.«
    »Ich habe nichts zu erzählen.«
    »Nein? Na schön.« Er zog einen Notizblock aus der Tasche, blätterte darin, fand die Privatnummer von Anissimow und wählte die Nummer. Der Hörer wurde fast sofort abgenommen.
    »Hallo!« rief eine heisere, kindlich klingende Stimme. »Ich höre!«
    »Natalja Wladimirowna Anissimowa?«
    »Ja.«
    »Guten Tag, mein Name ist Ilja Borodin. Ich bin Untersuchungsführer und für den Fall Ihres Mannes zuständig. Sie haben gerade mit Jelena Butejko gesprochen. Worüber?«
    »Ich wußte nicht, daß es Artjom war …« Im Hörer schluchzte es leise auf. »Ich wußte es nicht, Ehrenwort … Ich hätte sonst niemals angerufen. Das ist ja entsetzlich …«
    »Nun weinen Sie nicht. Worüber haben Sie eben mit Jelena Butejko gesprochen?«
    »Ich … Ich habe bloß gefragt, ob ich ihrem Mann einen Ring zum Schätzen zeigen dürfte. Ich muß den Ring nämlich verkaufen, um meinen Anwalt zu bezahlen. Ich wußte doch nichts, ich habe nur gefragt …«
    Am anderen Ende der Leitung flossen die Tränen in Strömen. Und hier, neben Borodin, saß Jelena Butejko, träufelte sich Valokordin in ein Schnapsglas und krampfte ihre zitternde Hand so fest um das dunkle Fläschchen, als sei es an allem schuld.
    »Danke, Natalja Wladimirowna. Beruhigen Sie sich, und gehen Sie bitte nicht aus dem Haus. Ich bin in einer halben Stunde bei Ihnen.«
     
    Natascha hielt wie betäubt den Hörer in der Hand und starrte in die Luft.
    »O mein Gott …«, wiederholte sie immer wieder mitstarren Lippen und leckte sich dabei die Tränen ab, »o mein Gott …«
    Es war erst drei Tage her, da hatte sie spätabends mit Sanja in der Küche gesessen und Tee getrunken. Der Fernseher war

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