Russische Orchidee
eingeschaltet gewesen, auf dem Bildschirm erschien das Gesicht von Artjom Butejko. Sanja wurde plötzlich ganz rot im Gesicht und schlug mit der Faust so heftig auf den Tisch, daß die Tassen in die Höhe hüpften und der Tee überfloß.
»Ich kann ihn nicht ertragen, diesen Drecksack. Umbringen könnte ich ihn, Ehrenwort, die Hand würde mir nicht zittern.«
Kapitel 8
Der Kristall hatte eine so schöne, ebenmäßige Form, daß es schien, als brauche er überhaupt keinen Schliff. Er war rein und durchsichtig wie die Luft im Wald nach dem ersten richtigen Sommerregen. In ihm flammte ein schrecklicher blendender Blitz, langsam, schwer verbrannte darin das Sonnenlicht, und hundert zarte, winzige Regenbogen funkelten auf. Ein Duft ging von ihm aus wie von frischem Wind, der plötzlich, nach langer Schwüle, vor einem Gewitter aufkommt, wenn alle Vögel verstummen, das Laub an den Bäumen sich nicht mehr regt und der Himmel schwarz wird.
Unter dem Hemd von Pawlik Popow hing an einer Schnur zusammen mit seinem Brustkreuz ein Beutel aus Leinwand. Dort bewahrte er den Diamanten auf. Wenn Pawlik rannte, hüpfte der Stein an der Schnur und schlug ihm schwer und schmerzhaft gegen die Brust.
Der Frühling 1830 kam im Ural zeitig und schnell, nach dem ersten Maihochwasser setzte eine drückende Schwüle ein. Anfang Juni grollten fast jeden Tag Gewitter.
Pawlik kehrte gerade aus dem Nachbardorf zurück, dasGewitter überraschte ihn auf freiem Feld. Das Rollen des Donners erschütterte die Erde wie eine Nußschale. Der Regen hatte noch nicht eingesetzt, und das machte es noch unheimlicher. Das durchgeschwitzte Hemd klebte kalt auf Pawliks Haut. Er rannte, und der Stein schlug ihm gegen die Brust. Das Dorf war schon ganz nah, im weißen Licht des Blitzes konnte er bereits die kohlschwarze Silhouette der verfallenen kleinen Holzkapelle erkennen, da plötzlich durchfuhr ihn ein furchtbarer, brennender Schmerz. Er fiel in den weichen Staub des Weges und verlor das Bewußtsein.
Zur Besinnung kam er, weil nach dem Donnerrollen ganz in der Nähe, direkt über seinem Kopf, das gellende Wiehern eines Pferdes ertönte. Der Regen strömte unablässig, umgab ihn wie eine Wand, und durch seinen Schleier erkannte Pawlik die Silhouette des sich aufbäumenden Tieres und sein schrecklich gefletschtes Maul. Pferdehufe hingen über ihm, schlugen die vom Regen gepeitschte Luft. Pawlik schrie auf, versuchte aufzuspringen, vermochte es aber nicht.
»Qu’est-ce que c’est? O mon Dieu, pauvre enfant!« ertönte neben ihm eine helle Frauenstimme.
Die Gräfin Olga Karlowna Paurier kehrte gerade von ihrem morgendlichen Ausritt zurück.
»Was ihst gesche’en?« fragte die Gräfin, mit Mühe die russischen Worte aussprechend.
»Der Blitz hat mich erschlagen, Euer Erlaucht«, erwiderte Pawlik mit schmerzverzerrtem Gesicht und leckte sich die Regentropfen von den Lippen ab.
»Ährschlagen! O mon Dieu!« rief die Gräfin, schwang sich in den Sattel, gab ihrem Pferd die Sporen und galoppierte davon, um Hilfe zu holen.
Man brachte Pawlik in einer Equipage ins Haus der Gräfin. Der Blitz hatte ihn gar nicht getroffen, er war einfach über einen großen Stein gestolpert und hatte sich das Knieaufgeschlagen. Doch der Arzt des Grafen, ein Deutscher namens Ribbenbaum, erklärte, nachdem er den Jungen untersucht hatte, es gäbe außer der Verletzung am Bein auch noch untrügliche Anzeichen für die Einwirkung von natürlicher Elektrizität. Die beste Therapie dagegen sei, den Jungen für mehrere Stunden in feuchter Erde einzugraben.
»C’est terrible! C’est une barbarie!« entsetzte sich die Gräfin. »Pauvre enfant! Je ne le permets pas! Ich ährlaube nicht, zu quälen das Kind!«
Auf den Lärm hin erschien der Graf. Er erkannte Pawlik sofort und erzählte, daß es dieser Junge gewesen war, der vor einem Jahr in der Mine den ersten Diamanten gefunden hatte.
»O mon Dieu! Impossible!« rief die Gräfin. »C’est le garçon qui a trouvé le diamant!«
In die Erde wurde Pawlik nicht eingegraben. Die Gräfin beschloß, sich selbst um sein Knie zu kümmern, und befahl, Hammeltalg, Weinessig und Riechsalz zu bringen.
»Qu’est-ce que tu as?« fragte sie ihn freundlich, als sie den Leinenbeutel auf seiner Brust bemerkte. »Puis-je le voir?«
»Das, Euer Erlaucht, ist …« Pawlik wußte nicht, was er sagen sollte, wäre fast in Tränen ausgebrochen, platzte dann aber plötzlich mit einem schönen französischen Wort heraus: »Ein Souvenir!«
»Oh,
Weitere Kostenlose Bücher