Russische Orchidee
Abend.
Einmal hatte Warja allein an der Theke der Bar gesessen und war mit einer Tänzerin des hiesigen Ensembles ins Gespräch gekommen. Das Mädchen hieß Ella. Mitten in der Unterhaltung verstummte es plötzlich, starrte zur Tür, schlug sich aufs Knie und zischte: »Verflixt, jetzt hab ich dreihundert Bucks an Larissa verloren!«
Warja sah, wie der Chef einer rothaarigen Hexe mit großen Zähnen, die eine Zobelboa über ihre nackten Schultern geworfen hatte, die Hand küßte. Die Hexe fletschte ihre riesigen Kaninchenzähne und brach in baßtiefes, rauhes Gelächter aus.
»Von weitem sieht sie noch jung aus«, flüsterte Ella, »aber in Wirklichkeit ist sie schon fast fünfzig. Nein, ich wüßte doch zu gern, wie sie das geschafft hat!«
»Was denn?«
»Sich Kirpitsch als Ehemann zu angeln.«
»Wer ist Kirpitsch?«
»Witali Kirpitschow, von der Baikal-Bank. Echt Wahnsinn, er ist drei Jahre jünger als sie, und überhaupt …«
»Und wann ist die Hochzeit?« erkundigte sich Warja vorsichtig.
»Woher soll ich das wissen?«
»Woher weißt du denn, daß er sie heiraten wird?«
»Merk dir, so begrüßt Stas nur Ehefrauen oder zukünftige Ehefrauen. Die haben Einfluß und eine Perspektive. Geliebte kommen und gehen.«
»Aber Kirpitsch hat diese Rothaarige doch noch nicht geheiratet«, bemerkte Warja flüsternd.
»Trotzdem, die Sache ist entschieden. Sonst würde Stas ihr nicht die Hand küssen. Siehst du, er führt sie zu ihrem Tisch. Ja, und jetzt muß ich Larissa dreihundert Bucks zahlen.«
Seit dieser Zeit wartete Warja jedesmal mit Herzklopfen darauf, daß der Restaurantchef endlich auch auf sie zuträte und sich über ihre Hand beugte. Aus irgendeinem Grund war sie überzeugt, das würde geschehen, bevor Dmitri Malzew sich selber entschlösse, sein königliches Wort zu sprechen.
»Hi.« Der junge Barmixer blinzelte ihr zu. »Wie steht’s?«
»Normal. Machst du mir einen Kaffee?« Warja drehte den Ring mit dem großen Rubin an ihrem Finger, schaute auf ihre winzige goldene Uhr, aber nicht, weil sie wissen wollte, wie spät es war, sondern weil sie sich an dem eleganten, teuren Stück nicht satt sehen konnte. Diese Uhr hatte sie erst heute gekauft, aus purer Langeweile war sie zu dem Juwelier in der Twerskaja gefahren.
»Dein Kaffee wird kalt, Warja.« Der Barmixer schob ihr die Tasse zu, bemerkte die Zigarette in ihrer Hand und zückte sein Feuerzeug, um ihr Feuer zu geben.
Noch vor einem Monat hatte sich dieser junge Schnösel absolut nicht merken können, wie sie den Kaffee gern haben wollte. Keinen Espresso, keinen Cappuccino, sondern richtigen türkischen Kaffee, gekocht auf erhitztem Sand. Drei Löffel Kaffee und zwei Löffel Zucker in ein winziges Kännchen.Zwei Körnchen Kardamom. Aber jetzt hatte er es endlich begriffen. Neben ihre Tasse stellte er immer ein Schälchen mit gerösteten, ungesalzenen Mandeln.
Auf der kleinen Bühne hatte bereits die nächtliche Show begonnen. Zu lebhafter Klavierbegleitung schwangen Tänzer und Tänzerinnen ihre Beine. Heute abend lief ein Nostalgieprogramm. Warja blieb an der Bar sitzen, nippte an ihrem Kaffee, knabberte Mandeln und sah sich die Show im Spiegel hinter der Theke an.
Dmitri Malzew erschien unerwartet, als die Solotänzerin auf der Bühne gerade eine Tschetschotka tanzte. Warja spürte zuerst den vertrauten kühlen Luftzug im Rücken, dann erblickte sie im Spiegel das volle, gepflegte Gesicht des stellvertretenden Ministers. Neben ihm tauchten sofort die respektvollen Mienen des Restaurantbesitzers und des Oberkellners auf.
»Hallo, mein Schatz.« Malzew beugte sich herab und gab Warja einen flüchtigen Kuß auf die Wange.
»Hallo.« Warja lächelte, rutschte rasch von dem hohen Barhocker und hakte sich bei Dmitri Malzew unter.
»Hast du schon gegessen?«
»Nein, ich habe auf dich gewartet.«
Man führte sie zu einem Tisch für VIPs, der sich in einer versteckten Ecke des Raums befand. Während der Tisch gedeckt wurde, betrachtete Warja verstohlen Malzews Gesicht. Seine Lippen waren dünne Striche, seine Augen glänzten. Er hatte einen schweren Tag hinter sich.
Manchmal wirkte Warjas Geplauder, ihr leises, zärtliches Zwitschern, entspannend und beruhigend auf ihn, manchmal aber brachte es ihn auch auf. Der verkniffene Mund und die kalten Augen bedeuteten, daß sie zu schweigen hatte. Diese Anzeichen vermochte sie inzwischen auf den ersten Blick zu deuten.
Immer, in jeder Lebenslage, sollte ihre Gegenwart ihm ausschließlich
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