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Russisches Abendmahl

Russisches Abendmahl

Titel: Russisches Abendmahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brent Ghelfi
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kriegerischen Heldentaten, die in Moskaus öffentlichem Raum allgegenwärtig sind. Werbung drängt in jede freie Ecke, und nicht so wahllos wie größtenteils in Russland. Leider hat Russland in dieser Hinsicht bisher nur den ersten Vorstoß erfahren. Es steht kurz vor einer ausgewachsenen Invasion, der es sich nicht widersetzen können wird. Panzersperren können nicht die Kultur zurückholen.
    Eine sich automatisch öffnende Glastür führt aus dem Gebäude in den Haltebereich. Strahow setzt sich auf den Vordersitz eines weißen Toyotabusses, neben den Fahrer, dessen Ohren wie Flügel abstehen. Wir rasen aus dem Terminalbereich auf die Hauptstraße, die in Richtung Prager Innenstadt führt. Zehn holprige Minuten vergehen ohne ein Wort.
    »Wir brauchen Waffen«, sage ich zu Strahow.
    Er dreht seinen großen Kopf, um in einiger Entfernung die aufragenden Turmspitzen der Prager Burg vorbeifliegen zu sehen. »Ich kenne Ihren Ruf, Volkowoj«, sagt er nach einer Weile.
    »Dann wissen Sie auch, dass ich eine halbautomatische Pistole mit Hohlspitzgeschossen und extra Magazin benötige. Dasselbe gilt für meine Partnerin. Für sie ein kleineres Kaliber. Sie arbeitet gern aus der Nähe.«
    Der Van rattert über Kopfsteinpflaster. Biegt im Gewirr der geschäftigen Altstadtstraßen immer wieder scharf ab, während Strahows Kopf auf und ab wackelt wie ein Ballon an der Schnur. Das verleiht ihm etwas Kindisches, Einfältiges. Ein Eindruck, den ich ihm nicht abkaufe. Valja sitzt neben mir gespannt wie eine Stahlfeder. Sie kauft ihm seine Nummer genauso wenig ab wie ich. Strahow spielt uns etwas vor, und ich weiß beim besten Willen nicht warum. Bevor ich Zeit finde, länger darüber nachzudenken, hält er eine Beretta mit Schalldämpfer nach hinten auf mich gerichtet.
    »Zuerst«, sagt er mit hüpfendem Kopf, »müssen wir eure Glaubwürdigkeit überprüfen.«
    Die beiden sind kein Problem für uns. Der Fahrer hat genug mit den engen Straßen voller Fußgänger zu tun. Valja kann ihn ablenken, während ich erst die Finger, dann das Handgelenk umdrehe, und ihm die Schulter auskugle. Die Waffe ist meine, noch bevor sein Kopf dreimal hochhüpft …
    Der Fahrer schwenkt den Van auf den Bürgersteig und hält an. Die Türen gehen auf. Zwei Kommandos in blauen Uniformen stürzen in den Wagen und stoßen uns Maschinengewehre in die Rippen.
    Strahow nickt wissend. »Ihr seid in den falschen Wagen gestiegen.«
     
    Minuten später rollt der Van durch ein Tor in ein Gebäude aus gelbem Kalkstein, dessen Fenster im ersten Stock vergittert sind. Ein unheilvoller Klotz, der mich an die Lubjanka erinnert.
    Wir steigen in einem Innenhof aus, wo es von Soldaten und Zivilisten mit hängenden Augenlidern wimmelt. Geheimagenten sehen auf der ganzen Welt gleich aus - krankhaft unbeteiligt und emotional tot.
    Sie drücken mich mit dem Gesicht gegen den Van. Hinter meinem Rücken schnappen Plastikhandschellen um meine Handgelenke. Ein weiteres Klicken sagt mir, dass Valja Ähnliches widerfährt. Ich verrenke mir den Hals nach ihr. Zwischen zwei gestiefelten Soldaten wirkt sie klein und verloren. Unsere Blicke treffen sich. Heute sind ihre Augen wieder aquamarinblau. Sie spitzt die Lippen zu einem neckischen Lächeln, das mein Herz schmelzen lässt. Ich liebe dich , formt sie mit dem Mund, dann reißt mich Strahow herum und stößt mich weg.
    Durch einen Eingang gelangen wir in einen Flur und steigen rechter Hand eine Treppe hinab durch einen Gang, bis wir zu einer Stahltür kommen. Strahow schubst mich in eine Zelle, in der nichts weiter als ein Metallbett ist. Es besteht aus einem stählernen Lattenrost ohne Matratze und am Boden festgeschraubten Beinen. Hinter mir schlägt die Tür zu, gleich darauf höre ich das Rattern des eisernen Schiebefensters vor dem Guckloch, in russischen Gefängnissen Judasloch genannt. Niemand hat sich die Mühe gemacht, mir die Handschellen abzunehmen.
    Die Zelle erinnert mich an Russland. Die Ironie des Schicksals will es, dass sie wahrscheinlich in den Vierzigern von Ingenieuren der Roten Armee im Auftrag des NKVD gebaut wurde - als Teil des sowjetischen Plans, der tschechischen Bevölkerung Disziplin beizubringen. Jetzt halten die Tschechen dort Russen gefangen.
    Zwanzig Stunden vergehen ohne Essen oder Besuch. Ich bin gut darin, an sehr viel schlimmeren Orten als diesem ohne Sonne und Mond die Stunden zu zählen. Aber da ging es nur um mich. Jetzt stelle ich mir vor, was sie Valja antun könnten, und es erfordert all

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