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Russisches Poker

Russisches Poker

Titel: Russisches Poker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Kutscher war demnach kein Spießgeselle, kein Mitglied der ›Pikbube‹-Bande. Ich habe ihn ausfindig gemacht. Das Gespräch hat freilich nicht viel gebracht: Eine Personenbeschreibung des ›Grafen‹ hatten wir schon, und sonst konnte er nicht viel Brauchbares mitteilen. Die Sachen wurden in die Gepäckaufbewahrung des Nikolaus-Bahnhofs gebracht, und dann wurde der Kutscher entlassen.«
    »Und in der Gepäckaufbewahrung?« fragte der erwachte Fürst.
    »Nichts. Eine Stunde später ist ein Mann mit Droschke gekommen, hat alles gegen Quittung abgeholt und sich in unbekannter Richtung entfernt.«
    »Und Sie sprechen von Anissis unschätzbarer Hilfe«, sagte Wedistschew. »Null Komma nichts haben wir in der Hand.«
    »Keineswegs.« Fandorin wollte wieder nach dem Rosenkranz greifen und verzog mißmutig das Gesicht. »Was haben wir? Der ›Graf‹ ist gestern allein gekommen, ohne Spießgesellen, obwohl er davon eine ganze Bande hat, und alles außergewöhnlich gute Schauspieler. Einer hätte ja die simple Rolle eines K-Kutschers spielen können. Aber der ›Graf‹ kompliziert die Sache, indem er einen Unbeteiligten hinzuzieht. Erstens. ›Speyer‹ wurde dem Fürsten vom ›Herzog‹ empfohlen, doch nicht persönlich, sondern brieflich. Das heißt, der ›Herzog‹ und sein Protegé zeigten sich nicht zusammen. Und w-warum nicht? Wäre es nicht einfacher gewesen, wenn ein Bandenmitglied das andere persönlich vorgestellt hätte? Zweitens. Und nun erklären Sie mir mal, meine Herren, warum der Engländer ohne ›Speyer‹ beim ›Notar‹ war. Es wäre doch natürlich gewesen, das Geschäft in Gegenwart beider Parteien abzuschließen. Drittens. Weiter. Bei der Sache mit der Lotterie benutzte unser ›Pikbube‹ einen Strohmann als Vorsitzenden, der auch nicht zur Bande gehörte. Das war ein kleiner Trinker, in nichts eingeweiht und für ein karges Salär angeheuert. V-viertens. Somit sehen wir in jeder dieser Episoden immer nur ein Bandenmitglied:mal ›Herzog‹, mal ›Invalide‹, mal ›Notar‹, mal ›Polizist‹, mal ›Graf‹. Das bringt mich zu dem Schluß, daß die Bande ›Pikbube‹ nur aus einem Subjekt besteht. Als ständige Helferin hat er wohl nur das Mädchen, das aus dem Fenster gesprungen ist.«
    »Ausgeschlossen«, dröhnte der Generalgouverneur, der auch schlafend nichts Wesentliches verpaßte. »Ich habe den ›Notar‹, den ›Polizisten‹ und den ›Grafen‹ nicht gesehen, aber der ›Herzog‹ und ›Speyer‹ können unmöglich dieselbe Person sein. Urteilen Sie selbst, Erast Petrowitsch. Mein selbsternanntes Enkelkind war blaß, schwächlich, dünnstimmig, schmalbrüstig und krummrückig, hatte spärliches schwarzes Haar und eine auffallende Entennase. Der Herzog von Sachsen-Limburg dagegen war ein Kerl wie ein Schrank: breitschultrig, militärisch straff, mit befehlsgewohnter Stimme. Adlernase, dichter sandgelber Backenbart, schallendes Lachen. Keinerlei Ähnlichkeit mit ›Speyer‹!«
    »Und wie groß?«
    »Einen halben Kopf kleiner als ich. Also mittlere Größe.«
    »Der ›Notar‹ ging dem langen L-Lord etwas über die Schulter, das heißt, auch mittlere Größe. Ebenso der ›Polizist‹. Und der ›Graf‹, Tulpow?«
    Anissi überlief es heiß von Fandorins kühner Hypothese. Er sprang auf und rief: »Der ist auch von mittlerer Größe, Erast Petrowitsch! Ein bißchen größer als ich, vielleicht sechs Zentimeter.«
    »Die Körpergröße ist die einzige Äußerlichkeit, die sch-schwer zu verändern ist«, fuhr der Hofrat fort. »Allenfalls durch hohe Absätze, aber das ist auffällig. In Japan allerdingshabe ich einen Mann aus einer Geheimsekte von Berufsmördern gesehen, der sich eigens die Beine hatte amputieren lassen, um seine Größe nach G-Gutdünken verändern zu können. Er lief mit seinen Holzbeinen besser als mit den eigenen. Davon besaß er drei Sätze – für hohe, mittlere und kleine Körpergröße. Aber solche Selbstaufopferung für den Beruf ist nur in Japan möglich. Was nun unseren Pikbuben betrifft, so kann ich Ihnen bereits sein Aussehen beschreiben und ein annäherndes p-psychologisches Porträt liefern. Das Aussehen ist übrigens bedeutungslos, denn er verändert es mühelos. Er ist ein Mensch ohne Gesicht, denn er trägt immer diese oder jene Maske. Aber ich will trotzdem v-versuchen, ihn darzustellen.«
    Fandorin stand auf und ging, die Hände auf dem Rücken, im Arbeitszimmer auf und ab.
    »Also, die Körpergröße.« Fandorin streifte Anissi mit einem

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